Galgenberg: Thriller (German Edition)
Leute waren paranoid. Steckten Suzanne vielleicht in dieselbe Schublade. Das war nicht fair, aber so was war damals nicht ungewöhnlich.«
»Was für Informationen hätte Suzanne der Polizei denn weitergeben sollen?«
»Fuck, das ist alles schon so lange her. Was über Waffen vielleicht. Über Waffen, die für den bewaffneten Kampf ins Land geschmuggelt wurden. Was weiß ich, immerhin saßen deswegen eine ganze Reihe von Leuten ein.«
Er öffnete das Fenster. Der Wind wirbelte durch den Kombi.
»Vergessen Sie nicht, es war der Februar 1988«, sagte er. »Es gab Notstandsgesetze, und alle waren paranoid, und damals war es unmöglich, eine Anschuldigung, die einmal im Raum stand, wieder rückgängig zu machen.«
»Haben Sie den Film noch?«
»Nein«, sagte Wilde. »Als ich ins Ausland ging, ließ ich alles zurück, und dann gab es einen Brand. Dabei wurde alles vernichtet.«
»Das Vula -Magazin setzte Suzanne auf die Titelseite.« Clare zeigte ihm das Bild. »Auch dieses Foto haben Sie aufgenommen, wenn ich mich nicht irre.« Sie deutete auf die Abbildung eines Mannes, der die Arme um Suzanne gelegt hatte. »Wer ist das?«
Wilde studierte das Bild. »Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Irgendein reicher Kerl, der einen Narren an ihr gefressen hatte. Der glaubte, er könnte sie kaufen, indem er ihre Bilder kauft.«
»Wenn ich das Bild so sehe, könnte das geklappt haben.«
»Suzanne.« Wilde schüttelte den Kopf. »Die hat mit jedem gefickt.«
»Auch mit Ihnen?«, fragte Clare.
»Selbst mit mir«, bestätigte er. »Ein- oder zweimal.«
Er zog an seinem Joint. »So wie ich es gehört habe, hat sie damals ihr kleines Mädchen zurückgelassen«, sagte er dann.
»Wie fanden Sie das?«
»Wissen Sie, damals hatte keiner von uns Kinder. Darum hat mich das nicht weiter interessiert.«
»Warum hat niemand Verdacht geschöpft?«, fragte Clare. »Warum hat niemand je nach ihr gesucht?«
»Sie war schon öfter verhaftet worden«, erklärte Wilde. »Sie hatte wochenlang in Einzelhaft gesessen. Damals war es nicht ungewöhnlich, dass Menschen abtauchten. Sie mussten, wenn ihnen die Sicherheitspolizei auf den Fersen war.«
»Und trotzdem verdächtigte man sie, eine Verräterin zu sein?«
»Genau. Heute hört sich das verrückt an, ich weiß. Aber niemand kannte sie näher, und nachdem sie freigelassen worden war, wurden ein paar Leute verhaftet. So etwas war nicht ungewöhnlich. Leute wurden gefoltert, Leute wurden in Isolationshaft gesteckt, Leute bekamen Geld angeboten. Sie wechselten die Seiten, aus welchem schrecklichen Grund auch immer, und viele von ihnen arbeiteten danach als Informanten für die Polizei. Wer will da schon urteilen? Ich weiß nicht. Ich dachte …« Wilde umklammerte das Lenkrad mit seinen wettergegerbten Händen. »Ich weiß noch, dass ich damals dachte, wahrscheinlich würde sie es nicht ertragen, noch einmal eingesperrt zu werden. Ich weiß, dass ich es nicht ertragen hätte.«
»Sie wurden auch inhaftiert?«
»Ein Mal, ja«, sagte Wilde. »Ich hätte das kein zweites Mal ausgehalten.« Er sah sie an. »So ganz allein in einer Zelle lernt man sich allzu gut kennen. Und ich bin ein Feigling.«
»Glauben Sie, dass Suzanne auch feige war?«
»Nein«, widersprach Wilde. »Aber mit Frauen stellte die Sicherheitspolizei damals ganz andere Sachen an, und diese Sachen hinterließen Wunden, die schwerer zu heilen waren als physische Verletzungen.«
»Und darum sind Sie davon ausgegangen, dass sie aus dem Land geflohen war?«
»Genau. Wenn ich es jetzt überlege, habe ich wahrscheinlich angenommen, dass jemand sie verraten hatte und sie daraufhin abgehauen war.«
»Sie haben nie nach ihr gesucht?«
Die Frage stand zwischen ihnen. Eine Anklage.
»Nein«, sagte Wilde. »Ungefähr zu der Zeit gingen die Townships wieder in Flammen auf. Ich war dort, ich fotografierte Tag und Nacht. In der Zwischenzeit verschwand sie. Dann holten mich die Bullen ab. Zwei Tage später erhielt ich meine Einberufung zur Armee. Also flüchtete ich ins Ausland, nach Holland. Wo ich von der Stütze lebte. Erst Jahre später kam ich zurück. Und da war alles schon so lang vergangen, dass niemand mehr darüber sprechen wollte.«
Wilde suchte nach einem weiteren Zigarettenpapier.
»Einmal bin ich tatsächlich losgezogen und habe ihre Tochter besucht«, erzählte er. »Die lebte damals bei ihrer Großmutter. Einer alten Hexe, gegen die Paul Kruger wie Liberace gewirkt hätte. Als ich die Kleine sah, war es, als hätte
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