Galgenberg: Thriller (German Edition)
abbiegen?«
»Bei der nächsten Ausfahrt«, sagte Lilith.
»Erinnern Sie sich an Damien Sykes?«, fragte Clare.
»Er hat mir mal ausgeholfen«, antwortete Lilith. »Mit Geld und so weiter. Er kannte meine Mutter. Warum?«
»Ich bin nur neugierig. Er hat eine ganze Reihe von ihren Bildern.«
»Und auch ein paar von mir«, sagte Lilith. »Ich dachte immer, als Mann gehört er zur Sorte ›aufdringlich, aber nicht gefährlich‹.«
Clare bog ab. Die Sonne knallte auf die Hütten, und die Wellblechdächer schleuderten das grelle Licht zurück wie eine lautlose Anklage. Das alte Crossroads. Rinder standen eng gedrängt in scharf riechenden kraals. Die Panzerwagen und Soldaten waren vor zwei Jahrzehnten abgezogen, doch sonst hatte sich nicht viel verändert. Ein paar alte Eukalyptusbäume hatten überlebt, weil sie zu groß waren, um gefällt zu werden, selbst im kältesten Winter. Der spaza shop war immer noch mit schwerem Maschendraht gesichert. Inzwischen wurde er von Somalis geführt, die nur mit knapper Not die periodischen Raubzüge ihrer Nachbarn aus dem Viertel überlebten. Manchmal kam die Polizei, meistens kam sie nicht.
Der Laden hatte einen schmalen Schlitz, durch den Geld gegen eine kleine Seife, einzelne Zigaretten, Viertelliter-Milchflaschen oder ein halbes Toastbrot getauscht wurde. Eine Dose Cola. Einkaufen für Arme.
Immer noch besser als Mogadischu.
Clare trat ans Fenster und fragte den Ladenbesitzer, ob er wisse, wo Sophie Xaba wohnte. Er pfiff kurz, und zwei kleine Jungen erschienen. Keine Schuhe, keine Hemden, zerlumpte Shorts, strahlend braune Augen.
»Mama Xaba«, sagte er. »Zeigt der Lady den Weg.«
Die beiden Jungen nickten und streckten die Finger aus.
»Wollt ihr mitfahren?«, fragte Clare.
Die beiden nickten wie auf Kommando. Sie öffnete ihnen die Hecktür, setzte sich wieder neben Lilith und folgte ihren Angaben. Hier lang, da lang, rechts, links, links, rechts. Immer tiefer in das Häuserlabyrinth. Eine Kuh verzog sich erschrocken rückwärts in eine Gasse. Die Jungen hüpften auf den Polstern.
»Hier?«, fragte Clare.
Sie nickten.
Clare stieg aus, gab jedem eine Handvoll Münzen. Das Haus, auf das sie zeigten, stand steif wie ein Soldat auf einem mit dem Rechen gekämmten Rechteck. Es war türkis gestrichen. Die Farbe, die Tornados abweisen kann, wie man in der Transkei glaubte. Bislang schien das Haus dem Toben des Südosters standgehalten zu haben. Der Garten um das Haus war makellos sauber, denn der Straßenmüll versuchte vergeblich, sich durch die Maschen des Zaunes zu zwängen. Clare klopfte an die rote Tür. Eine große Frau mit weißem Kopftuch öffnete. Einen Stern an die Bluse geheftet. Die Zion-Christenkirche.
»Mrs Xaba?«
»Ja. Die bin ich.«
»Ich bin Clare Hart, und das«, sie wandte sich zu Lilith um, »ist Lilith.«
»Lily.« Sophie Xaba schloss Lilith in die Arme. »Miss Suzannes kleines Blümchen. Kommt doch ins Haus. Du bist wirklich groß geworden!«
In der Hütte war es stickig. Und so aufgeräumt, wie es nur in einer Wohnung ohne Kinder sein kann. Die Sofas waren mit Plastik überzogen. Der Fernseher lief, aber der Ton war abgedreht; Oprah, die mit einem Mikrofon ihre Kreise zog, dazu übergewichtige und überforderte Amerikanerinnen, die lautlos in die Kamera plapperten.
»Mrs Xaba, ich möchte Ihnen ein paar Fragen über Suzanne le Roux stellen«, sagte Clare, als Lilith und Sophie sich voneinander gelöst hatten. »Eigentlich bin ich vor allem ihretwegen hier.«
»Wir wollen herausfinden, was damals mit meiner Mutter passiert ist«, erklärte Lilith. Sie setzte sich neben Sophie Xaba.
»Das wollte ich auch«, sagte Sophie. »Aber damals wollte niemand auf mich hören.«
»Wir haben ihre Überreste gefunden, ihr Skelett«, sagte Clare. »Am Gallows Hill.«
Sophie Xaba wurde ganz still. »Ich habe es im Fernsehen gesehen. Die Skelette, die Männer, die Angst um ihre Jobs haben, die wütenden Demonstranten.«
»Es gibt noch keine offizielle Verlautbarung – aber tatsächlich wurde Suzanne le Roux im Februar 1988 in Kapstadt ermordet und vergraben.«
»Damals gab es so viel Gerede. Aber jetzt, da Sie mir das erzählen, weiß ich, dass es nicht anders gewesen sein kann.« Sophie nahm Liliths Hand. »Ich wusste es schon damals, ich wusste es einfach.«
»Was wusstest du?«, fragte Lilith.
»Deine Mama wäre niemals ohne dich weggegangen.« Mrs Xaba drehte den Knopf an ihrer Bluse. Nach links, nach rechts. »Und wenn sie wirklich
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