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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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vergessen. Auf meiner Liste über die zu erledigenden Fälle rutschen Sie nach unten an die letzte Stelle, nicht nach oben.«
    Pearly Boy murmelte etwas sehr Obszönes vor sich hin.
    »Wie bitte?«, fragte Monk scharf.
    »Ich werde ihn finden.«
    Mit einem Schlag war Monk die Freundlichkeit in Person. »Vielen Dank. Das wird Ihnen zum Vorteil gereichen.«
    Doch er verließ Pearly Boy mit gemischten Gefühlen. Argwöhnisch hielt er sich in der Mitte der schmalen Straßen, möglichst fern von den Mündungen dunkler Gassen und den halb verborgenen Durchgängen zu den Hinterhöfen.
    Was war der Unterschied zwischen einer Erpressung und einer anderen? War er grundsätzlich oder nur graduell? Konnte der Zweck die Mittel rechtfertigen?
    Monk brauchte nicht darüber nachzudenken. Hätte er irgendeines von Phillips’ Opfern dadurch retten können, dass er die abartige Vorliebe eines Mannes gegen diesen selbst verwendete und ihn zwang, mindestens ein Kind zu beschützen, dann hätte er das sofort getan, ohne sich auch nur einen Moment mit der Moral eines solchen Schrittes abzugeben. Aber machte ihn das zu einem guten Polizisten? Er fühlte sich unbehaglich, unzufrieden, unsicher in seiner Beurteilung – und Durban so nahe wie nie zuvor. Doch es handelte sich um eine Nähe der Emotionen, des Zorns und der Verletzlichkeit. Ob sie auch in moralischer Hinsicht bestand, war Monk ganz und gar nicht klar.
    Und natürlich hatte Durbans Tod um die Jahreswende auch die Aufhebung von Reillys Schutz bedeutet. So war der Junge wieder völlig Phillips’ Willkür ausgeliefert gewesen. Beim bloßen Gedanken daran wurde Monk übel, obwohl er endlich das Gassengeflecht verließ und im offenen Hafengelände wieder vom Wind und von der Sonne empfangen wurde.

8
    Rathbone saß an seinem Esstisch und hatte zu seinem Erstaunen keinerlei Appetit. Das Zimmer war eine Augenweide – kein Vergleich zu der ursprünglichen spröden Eleganz, die es vor Margarets Ankunft im Haus verbreitet hatte. Rathbone war sich nicht ganz sicher, was genau es war, das diese Veränderung herbeigeführt hatte, aber jetzt wirkte es viel gemütlicher. Der Tisch hatte immer noch seine feinen Rillen, wie Mahagoniholz sie aufweist; die Decke war nach wie vor an den Rändern mit den Akanthusblättern aus schwerem Stuck verziert. Neu waren allerdings die blauweißen Vorhänge, die bei weitem nicht so schwer waren wie ihre Vorgänger. Hier und dort tauchten Sprenkel aus Gold auf, und auf dem Tisch thronte eine Schale mit pinkfarbenen Rosen. Sie verliehen dem Zimmer Wärme und einen Hauch von Behaglichkeit, der zeigte, dass es bewohnt wurde.
    Rathbone holte schon Luft, um Margaret für all diese Veränderungen zu danken, denn natürlich war sie diejenige, die sie herbeigeführt hatte, doch dann ließ er den Moment verstreichen und nahm stattdessen einen Bissen von seinem Fisch. Sein Lob würde doch nur künstlich klingen, als suchte er krampfhaft nach einem höflichen Kompliment. Sie sollten über wichtige Dinge sprechen, nicht über Banalitäten wie die Vorhänge und Blumen.
    Margaret hielt den Blick auf ihren Teller gesenkt und konzentrierte sich auf das Essen. Sollte er sie dafür loben? Sie war es, die die Köchin eingestellt hatte. Auf ihrer Stirn hatte sich über der Nase eine kleine Falte gebildet. Woran dachte sie gerade? Hatte sie eine Ahnung davon, was ihn beschäftigte? Sie war so stolz auf ihn gewesen, weil er den Prozess gegen Phillips gewonnen hatte. Er sah noch ihr strahlendes Gesicht vor sich, die Art und Weise, wie sie gegangen war, den Kopf erhoben, den Rücken etwas durchgestreckter als sonst. Weil seine Strategie so klug gewesen war? Bedeutete Geschick so viel, mehr noch als Weisheit? Beruhte ihre Selbstsicherheit darauf, dass sie auf der Seite des Siegers stand und Hester verloren hatte?
    Oder war sie gar nicht stolz gewesen, sondern hatte ihre Gefühle nur sehr geschickt hinter dieser herausfordernden Haltung verborgen? Oder hatte sie Treue bekunden wollen? Zu wem? Zu ihm? Oder zu ihrem Vater? Wusste sie überhaupt, dass ihr Vater Phillips’ eigentlicher Rechtsvertreter war, zumindest indirekt? Hatte sie eine Vorstellung davon, wie Phillips in Wirklichkeit war? Rathbone begann ja selbst erst jetzt, dies in seinem ganzen Ausmaß zu erkennen. Wie konnte Margaret da mehr wissen? Und wenn sie zu ihm stehen konnte, konnte er ihr nicht die gleiche Loyalität entgegenbringen?
    Er schluckte den letzten Bissen von seinem Fisch hinunter. »Ich weiß nicht genau, was

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