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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gegeben, außer den Tod.
    Da war es kein Wunder, dass Durban sein Möglichstes getan hatte, um Phillips zu stellen und zu hängen, selbst wenn das die Verletzung der einen oder anderen Vorschrift bedeutete. Oder dass die Männer, die ohnehin schon so viel gezahlt hatten, noch mehr Geld opferten, um ihren Kuppler und Peiniger zu schützen. Das verlieh dem Begriff der Korruption neue Dimensionen.
    Wer hatte Oliver Rathbone bezahlt, damit er diesen Mann vor Gericht verteidigte? Und warum? Um sich selbst oder jemanden, den er liebte, zu schützen? War das so grundverschieden von Monks verzweifeltem Versuch, Durban zu schützen? Und er war verzweifelt, spürte er doch, wie die Emotionen über ihn hereinbrachen, seinen Verstand lähmten und dafür sorgten, dass sich seine Muskeln verhärteten. Wie viel von einem selbst war unentwirrbar mit einem anderen Menschen verwoben?
    Monk hatte den offenen Kai erreicht und war nicht mehr weit von Wapping entfernt. Die Flut drückte den Fluss herein, das Wasser klatschte gegen die Steinstufen und kroch immer höher. An seinen stechenden Geruch hatte Monk sich längst gewöhnt, ja, er freute sich darüber. Das war die größte Wasserstraße zum Meer, mit all ihren Launen, wunderschön und schrecklich zugleich. In der Nacht waren Armut und ihr Schmutz verborgen. Dann tanzten die Lichter der Schiffe aus Afrika und dem hohen Norden, aus China und Barbados auf ihren Tiden. Und die Stadt mit ihren mächtigen Kuppeln und Türmen kauerte als schwarzer Schatten unter den Sternen. In der Morgendämmerung schließlich hüllten Dunstschleier sie ein, abgemildert durch den silbernen Glanz schnell fließenden Wassers. Im lodernden Licht des Sonnenaufgangs gab es Momente, in denen diese Stadt Venedig hätte sein können, die Kuppel von St. Paul’s über den Schatten eines Marmorpalastes thronend, der über die Lagune auf die Seidenstraßen des Orients zuglitt.
    Hier trafen die Handelswege der ganzen Welt aufeinander, die Pracht, die Verwahrlosung, das Heldentum und das Laster der gesamten Menschheit vermischt mit den Reichtümern jeder Nation der Erde.
    Er stellte sich der Frage ganz bewusst.
    Was hätte er, Monk, getan, hätten jemandem, den er liebte, durch Phillips Bloßstellung und Ruin gedroht? Hätte er ihn geschützt? Der Glaube an die eigenen Ideale war das eine, aber etwas ganz anderes war es, wenn es sich um einen lebenden Menschen handelte, der einem traute und – was noch tiefer ging – einen vielleicht geliebt und selbst einmal in der Not geschützt hatte. Konnte man sich da abwenden? War das eigene Gewissen wertvoller als ein solches Leben?
    Schuldete man den Toten Treue? Aber natürlich! Man vergaß einen Menschen doch nicht, sobald der letzte Atemzug seine Lippen verlassen hatte.
    Monk ließ den Blick wandern, vom Bild der Stadt im Norden über den dicht bevölkerten Fluss weiter zu den Konturen der Gebäude im Süden. Das war eine Stadt der Erinnerungen, die den großen Männern und Frauen der Vergangenheit galten. Natürlich waren mehr Männer darunter, aber wer wusste denn schon, in welchem Maße es die Liebe, der Glaube und die Vision von Frauen gewesen waren, die sie genährt und ihr Vertrauen zu sich selbst beflügelt hatten, damit sie ihren Traum ausleben konnten? Wie viel hatte deren Treue gezählt?
    Wie maß man die Liebe, die die eigenen Grenzen nicht auslotete oder berührte?
     
    Am Nachmittag des nächsten Tages bekam es Monk mit dem wohlhabenden Hehler zu tun, der als Pearly Boy bekannt war. Diesen Namen hatte er schon so lange, dass niemand mehr wusste, wie er ursprünglich geheißen hatte. Eine wirklich bedeutende Scheibe von den Geschäften am Fluss hatte er sich jedoch erst nach dem Tod von Fat Man im vergangenen Winter abschneiden können, was ihm seinen jetzigen Wohlstand ermöglicht hatte.
    Er war ein schlanker Mann mit weichem Gesicht und ziemlich langen Haaren, sprach mit leiser Stimme, wobei er ein leichtes Lispeln verriet. Und noch nie war er ohne seine mit Perlmuttknöpfen bestickte Weste gesehen worden, die im Licht schillerten. Er war der Letzte, bei dem man es für möglich halten würde, dass er in dem Ruf stand, ein rücksichtsloser Mann zu sein, nicht nur wegen seiner harten Verhandlungsmethoden, sondern auch, weil er zur Not mit einem Messer – natürlich mit perlenbesetztem Griff – nachhalf.
    Sie saßen einander in dem kleinen Hinterzimmer von Pearly Boys Laden in Limehouse gegenüber. In dem Geschäft waren Schiffsinstrumente ausgestellt:

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