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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sorgfältig darauf, die Möbel nicht zu verschieben, selbst wenn es nur ein paar Zentimeter waren.
    Lag hier das Geheimnis begründet, das sie nicht verraten durfte? Cordwainer war etwa zwanzig Jahre älter als Stella, und dass er sie liebte, war deutlich zu spüren.
    Jetzt war aber keine Zeit, um über dergleichen nachzudenken. Mrs. Cordwainer war aufgewacht und zeigte lebhaftes Interesse. Ohne dass es großer Hilfe bedurfte, erinnerte sie sich an Mary, an deren Mutter und die Geburt des Babys.
    »Eine schlimme Sache war das«, sagte sie betrübt, blinzelte und richtete ihre klaren grauen Augen auf Hester. »Sie war nich’ die Letzte, die ich hab sterben sehen, sondern die Erste, und ich hab das arme Ding nie vergessen. Sie war blutjung, obwohl das kleine Mädchen wohl schon ungefähr fünf war.« Sie seufzte. »Ich hab nach ungefähr einem Jahr Adoptiveltern für sie gefunden. War’ne nette Familie, die sie unbedingt haben wollte. Webb hieß das Paar, oder so ähnlich. Das Baby konnten sie aber nich’ nehmen. Das wär’ zu viel für die Frau gewesen. Sie war nämlich verkrüp pelt.Wir reißen Geschwister ungern auseinander, aber hier gibt’s zu viele Mäuler, die gefüttert werden müssen, und sie mochten die Kleine wirklich gern.«
    »Was wurde denn aus dem Jungen?«, fragte Hester sanft. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er heranwuchs, eines unter vielen Kindern, versorgt, aber für niemanden etwas Besonderes; ernährt, gekleidet, vielleicht sogar im Lesen und Schreiben unterrichtet, doch von niemandem wirklich geliebt. Es war so leicht, zu verstehen, warum er ein Glück erfunden hatte, das es nie gegeben hatte.
    »Ein putziger kleiner Bursche war er«, murmelte Mrs. Cordwainer verträumt. »Lockiges Haar, wirklich hübsch, auch wenn er hin und wieder gern raufte. Aber so was stört mich an Jungs eigentlich nich’ so sehr. Aufgewecktes Kerlchen. Hat mich viel zum Lachen gebracht. Ich war ja selber noch jung damals. Ist mit allen möglichen Streichen davongekommen, weil er mich so zum Lachen gebracht hat. Und das hat er genau gewusst.«
    »Was wurde aus ihm?«, fragte Hester erneut.
    »Das weiß ich nich’. Er is’ bei uns geblieben, bis er acht wurde, und dann haben wir ihn ziehen lassen.«
    »Wohin? Wer nahm ihn zu sich?«
    »Wer ihn zu sich nahm? Sie sind gut! Niemand hat ihn genommen. Er war alt genug, um für sich selbst zu sorgen. Keine Ahnung, wohin er gegangen is’.«
    Hester warf Scuff einen Blick zu, der seinerseits die alte Frau vollkommen zu verstehen schien. Er zuckte nur die Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. Ihr dämmerte, dass er ungefähr im gleichen Alter angefangen hatte, sich allein durchzuschlagen. Vielleicht war auch Durban ein Mudlark gewesen.
    »War der Name seiner Mutter vielleicht Durban?«, fragte sie laut.
    »Den Namen seiner Mutter haben wir nie erfahren«, erwiderte die alte Dame. »Weiß gar nich’ mehr, ob wir sie überhaupt gefragt haben. Wir haben ihn Durban genannt, weil ein Mann aus Afrika so hieß, der uns mal Geld gestiftet hat. Der Name gefiel uns ganz gut, und er hatte nix dagegen.«
    »Kam er jemals wieder?«
    »Is’ zurück nach Afrika gefahren, soviel ich weiß.«
    »Nicht der Mann, der Junge.«
    »Oh. Daran kann ich mich gar nich’ erinnern. Is’ losgezogen, seine Schwester zu suchen, die kleine Mary. Aber die war weg. Das hat er uns noch gesagt. Aber sonst weiß ich nix mehr.Tut mir leid. Is’ ja auch schon so lange her.«
    »Vielen herzlichen Dank!«, rief Hester, und sie meinte es aufrichtig. »Sie haben mir sehr geholfen!«
    Mrs. Cordwainer musterte sie. »Was is’ aus ihm geworden? Wissen Sie das?«
    »Er wuchs zu einem anständigen Mann heran«, antwortete Hester. »Ging zur Wasserpolizei und ist vor etwa einem halben Jahr gestorben. Er hat sein Leben geopfert, um andere zu retten. Jetzt suche ich Mary Webber, um ihr das zu sagen und ihr seine Besitztümer auszuhändigen, wenn sie seine Schwester ist. Aber es ist unglaublich schwierig, sie zu aufzuspüren. Vor seinem Tod hat er selbst nach ihr gefahndet, hatte jedoch kein Glück.«
    Mrs. Cordwainer schüttelte nur schweigend den Kopf.
    Als ihnen Tee angeboten wurde, lehnten sie ab, weil sie der alten Frau keine Mühe machen wollten. Danach begleitete ihr Sohn sie zur Tür. Scuff und Stella waren schon im Flur draußen, als Mr. Cordwainer Hester die Hand auf den Arm legte und sie zurückhielt. Sein Gesicht, sein ganzes Gebaren verrieten auf einmal Betroffenheit.
    »Sie werden

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