Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Abend natürlich viel mehr genie ßen, wenn du mich begleiten könntest.« Das stimmte nicht, aber er hatte das Gefühl, es sagen zu müssen. Im Gegenteil, allein hätte er es leichter. Er wäre dann nicht dazu gezwungen, sich vor einer peinlich genauen Beobachtung in Acht zu nehmen, nur um am Ende möglicherweise doch noch bei Ungereimtheiten ertappt zu werden, auch wenn nichts offenkundig gelogen war. Er war zu klug, um auf falsche Behauptungen angewiesen zu sein.
»Ich wäre entzückt«, erwiderte Margaret und wandte sich ihrerseits ab, nachdem sie in seinen Augen die ersehnte Aufrichtigkeit nicht entdeckt hatte. Was es genau war, das sie vermisste, hätte sie gar nicht benennen können. Wie kann man Ehrlichkeit beschreiben? Offenheit, Wärme in den Augen, das Fehlen von Vorsicht. »Ist es ein formeller Anlass?«
»Ja, leider.«
»Das stört mich nicht. Ich habe genügend Abendkleider.«
Das stimmte allerdings. Rathbone hatte sich davon überzeugen können, dass sie mehr als genug Kleider hatte, und alle waren auf dem neuesten Stand der Mode. Sie konnte hinreißend aussehen und entsprach stets dem diskreten Geschmack einer kultivierten Dame. Sich vulgär zu geben, dazu war sie gar nicht in der Lage. Und das war eine der Eigenschaften, die ihm am besten an ihr gefielen. Gerne hätte er ihr das auch gesagt, aber in diesem Moment hätte es nur gekünstelt geklungen, obwohl er es wirklich so meinte.
Sie trafen zu genau der richtigen Zeit bei dem Empfang ein, weder so früh, dass sie begierig wirkten, noch so spät, dass man meinen konnte, sie würden die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen. Derart wichtigtuerisches Gebaren zeugte lediglich von schlechten Manieren.
Margaret hatte sich in kühle, einfache Farben gekleidet, unter Betonung der Blautöne, sehr dezent, als läge ein leichter Schleier darüber. Ihr Mieder war tief ausgeschnitten, doch da sie sehr schlank war, konnte sie es durchaus tragen, ohne mehr von sich zu zeigen, als die Etikette erlaubte. Ihre Röcke bauschten sich, und sie hatte es schon immer verstanden, voller Anmut zu schreiten.
»Du siehst berückend aus«, raunte Rathbone, als sie, die Hand leicht auf seinen Arm gelegt, an seiner Seite die Treppe hinunterschwebte. Er bemerkte, wie sie an Hals und Wangen errötete, und war froh, dass er seine Worte wirklich so gemeint und nicht irgendein leeres Kompliment von sich gegeben hatte. Sie wurden von der Gastgeberin begrüßt, einer schmalen, attraktiven Frau aus einer hervorragenden Familie, die in den Reichtum eingeheiratet hatte und sich auf einmal nicht mehr ganz sicher schien, ob das so klug gewesen war, wie sie gedacht hatte. Mit einem scheuen Lächeln begrüßte sie jeden Gast, um sich dann in ein höfliches Geplauder über Nichtigkeiten zu stürzen, sodass die Gäste sich irgendwann fragten, ob sie lediglich des Anstands halber eingeladen worden waren.
»Armes Ding«, flüsterte Margaret Rathbone zu, während sie sich durch die Menge bewegten, Bekannten zunickten und von anderen, deren Name ihnen nicht auf Anhieb einfiel oder denen sie lieber aus dem Weg gingen, lediglich Notiz nahmen. Manche Leute wussten eben nicht, wann man einer Konversation gestatten sollte, eines natürlichen Todes zu sterben.
»Armes Ding?«, fragte Rathbone, dem nicht klar war, ob ihm etwas entgangen war, das er hätte wissen müssen.
Margaret lächelte. »Unsere Gastgeberin hat eine finanziell passende Ehe geschlossen und sieht sich jetzt, da sie dem ›Handel‹ statt dem Adel angehört, mehr als nur ein bisschen am Ende ihrer Weisheit angelangt. Aber wenn man wirklich will, kann man durchaus dazulernen.«
Rathbone zog die Augenbrauen hoch. »Wie bitte?«
Zum ersten Mal seit Tagen lachte sie herzhaft. »Du wirkst irritiert, Oliver. Betrachtest du dich als Geschäft? Ich habe mich nicht als verarmt empfunden. Und wegen deines Geldes habe ich dich bestimmt nicht geheiratet. Ich habe Männer zurückgewiesen, die wohlhabender waren als du. Ich sagte mir, dass du interessant sein könntest.«
Er stieß langsam den Atem aus und spürte, wie ihm eine gewisse Wärme in die Wangen stieg. Das war die Frau, in die er sich verliebt hatte. »Ich bin Jurist«, erwiderte er mit gespielter Schärfe. »Das hat nicht das Geringste mit Handel zu tun. Aber es bedeutet immer noch einen beträchtlichen Vorteil, eine kultivierte Frau zu haben, selbst wenn sie mehr Verstand und Geist hat, als das der vollkommenen Behaglichkeit zuträglich ist.«
Einen Moment lang hängte sie
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