Galgenfrist für einen Mörder: Roman
sich bei ihm ein, dann löste sie sich von ihm. »Es tut nicht gut, wenn man sich die ganze Zeit behaglich fühlt. Dann wird man selbstgefällig, und das ist äußerst unattraktiv. Aber vielleicht solltest du zusehen, dass du die Person entdeckst, mit der du sprechen wolltest.«
Rathbone seufzte. »Vielleicht, ja.« Schon fühlte er sich wieder unwohl, und auf einmal bereitete ihm das Atmen Mühe.
Es war nicht schwer, Sullivan in ein Gespräch zu verwickeln, ohne dass es erzwungen wirkte. Doch Rathbone pochte das Herz zum Zerspringen, sodass er beim Sprechen ständig außer Atem war und seine Stimme flatterte. Was würde er tun, wenn Sullivan sich einfach weigerte, sich mit ihm unter vier Augen zu unterhalten? Nun, Rathbone musste sein Anliegen so formulieren, dass der Richter keinen Verdacht schöpfte.War ein schuldiger Mensch nicht immer misstrauisch?
Sie waren etwa einen Meter von der nächsten Gruppe entfernt, und Sullivan stand mit dem Rücken zu einem mit Büchern und Kunstobjekten gefüllten Regal.
»Ah! Schön, Sie zu treffen, Rathbone!«, begrüßte er ihn herzlich. »Sie feiern noch Ihren Sieg? Könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Sie haben ja auch etwas erreicht, das verdammt nah daran war, ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.«
Rathbone verbarg seine Gefühle über seine eigene Rolle in dem Prozess, die ihm von Tag zu Tag bitterer aufstießen und ihm keine Ruhe mehr ließen. »Danke«, erwiderte er mit einer Verneigung. Das war das Mindeste, was erwartet wurde. Weniger wäre als Affront betrachtet worden, und er musste die Etikette wahren, zumindest so lange, bis er eine Gelegenheit fand, mit Sullivan allein zu sprechen. Er war es gewohnt, ihn in Perücke und Robe zu sehen, und das aus mehreren Metern Entfernung, wenn er vom Parkett zum Richterpult aufblickte. Aus der Nähe war Sullivan immer noch ein stattlicher Mann, doch seine Züge wirkten etwas weniger markant, und die Haut verriet Flecken, als wäre seine Gesundheit angegriffen, was an Ausschweifungen und den sich daraus ergebenden Verdauungsstörungen liegen konnte. »Die Verteidigung war am Ende gar nicht so schwierig, wie ich erwartet hatte«, fügte er geflissentlich hinzu, als er bemerkte, dass Sullivan offenbar auf eine Erwiderung dieser Art wartete.
»Die Wasserpolizei hat sich ihr eigenes Grab geschaufelt«, stieß der Richter grimmig hervor. »Sowohl Durban als auch Monk. Ich glaube, ihre Macht sollte beschnitten werden. Vielleicht haben die Zeitungen recht, und es ist höchste Zeit, dass sie aufgelöst und das Kommando vollständig auf die für die jeweiligen Stadtviertel zuständigen Dienststellen an Land übertragen wird. Nimmt sich gegenwärtig zu viele Rechte heraus.«
Rathbone schluckte seinen Protest hinunter. Noch konnte er es sich nicht leisten, sich mit Sullivan anzulegen, und wenn er ihn in die Defensive zwang, würde er erst recht nichts erfahren.
»Wirklich?«, fragte er interessiert. »Die Mitglieder der Wasserpolizei scheinen immerhin besondere Kenntnisse zu haben, und ich muss sagen, bisher weist sie doch eine hervorragende Bilanz auf.«
»Bisher« , erwiderte Sullivan gedehnt. »Aber nach allen vorliegenden Berichten war Durban nicht annähernd so schlau und ehrenhaft, wie wir dachten, und dieser Neue, Monk, tritt viel zu sehr in seine Fußstapfen. Sie brauchen sich ja nur die Sache Phillips anzuschauen, um zu erkennen, dass er der Aufgabe nicht gewachsen ist. Beförderung trotz erwiesener Unfähigkeit, würde ich sagen.«
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach Rathbone.
Sullivan runzelte die Stirn. »Aber Sie haben es doch selbst bewiesen, mein Bester! Der Mann hat seine Frau mit hineingezogen, ohne Zweifel eine ehrenwerte Dame, aber schrecklich sentimental und voller wohlmeinender, wenn auch unlogischer Vorstellungen. Und er wurde allem Anschein nach zum Opfer seines eigenen Wunschdenkens. Weil er sich in seinem Entsetzen über den Mord an dem Kind zu einer übermäßig emotionalen Sichtweise hinreißen ließ und das außerdem Durbans letzter Fall gewesen war, führte er die Ermittlungen äußerst schlampig durch. Folglich präsentierte er dem armen Tremayne ungenügendes Beweismaterial, sodass den Geschworenen keine andere Wahl blieb, als Phillips für nicht schuldig zu befinden. Darüber hinaus wissen wir jetzt, dass er wegen desselben Verbrechens nicht noch einmal vor Gericht gestellt werden darf, selbst wenn wir unwiderlegbare Beweise für seine Schuld finden. Noch mehr Fiaskos wie dieses können wir
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