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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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pornografische Bilder von kleinen Jungen verkauften. Was für eine bodenlose Dummheit! Unwillkürlich stieß er einen Wutschrei aus, aber zum Glück hörte ihn der Fahrer nicht oder achtete nicht darauf. Ein Mann konnte in einem solchen Gefährt sterben, und niemand würde sich darum kümmern, dachte Squeaky betrübt. Doch wehe, der Kutscher hätte angehalten und sich erkundigt, ob ihm etwas fehlte. Dann wäre er nur noch wütender geworden.
    Bei seinem Ziel angekommen, gab er dem Kutscher über den verlangten Preis hinaus ein Trinkgeld von zwei Pence, worüber er sich sofort ärgerte, dann eilte er den Kai hinunter zur nächsten Seitengasse, die vom Fluss wegführte.
    In diesen engen Passagen war es jetzt, da es auf Mittag zuging und die Sonne sich ihrem höchsten Stand näherte, zum Ersticken schwül. Squeaky war schon einige Zeit nicht mehr in dieser Gegend gewesen und hatte ganz vergessen, wie widerwärtig es hier stank.
    Wo die Bordelle und die Läden waren, die Pornografie aller Arten verkauften, das wusste er freilich noch. Er begann, zunächst noch ganz beiläufig, Erkundigungen anzustellen, ob jemand eine Streichholzverkäuferin bemerkt hatte, die Claudines Äußerem entsprach. Es war eine äußerst zähe Angelegenheit. So gut wie keiner zeigte sich bereit, ihm eine brauchbare, ehrliche Antwort zu geben.
    Nachdem er sich zwei, drei Stunden abgemüht hatte, wurde er auch noch von zwei Jungen auf äußerst freche Weise nachgeäfft. Wie Schuppen fiel es ihm da von den Augen, wie höflich er geworden war, seit er in der Klinik mitarbeitete. Grässlich! Er hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert und hatte kaum noch etwas mit dem Mann gemein, der er einmal gewesen war! Ein feiner Pinkel hörte sich so an, aber doch nicht er!
    Wütend setzte er einem der Jungen nach, packte ihn beim Schlafittchen und hielt ihn hoch, sodass seine Füße in der Luft zappelten.
    »Du behandelst Erwachsene gefälligst mit Respekt, du kleines Stück Ungeziefer!«, zischte er dem Kind ins Gesicht. »Sonst bring ich’s dir auf die harte Weise bei, bis du dir wünschst, du wärst nie geboren worden. So, und jetzt frag ich dich noch mal ganz freundlich, weil’s mir keinen Spaß macht, Kindern den Hals umzudrehen. Ich werd davon immer so müde, vor allem an’nem heißen Sommertag. Wohin is’ die Streichholzfrau gegangen, die vor zwei Tagen hier war? Und erzähl mir keine Lügen, weil ich dich sonst mitten in der Nacht holen komme, wenn keiner sieht, was ich mit dir anstelle. Kapiert?«
    Der Junge hing wimmernd in seinem brutalen Griff. Ihm quollen die Augen aus den Höhlen, weil sich der Kragen immer fester um seinen Hals zuzog.
    Squeaky ließ ihn zu Boden fallen, wo er heulend liegen blieb.
    »Nun mach schon, oder du wirst es noch bereuen«, flüsterte Squeaky und beugte sich über den Jungen. »Sie is’ nämlich’ne Freundin von mir, und ich will nich’, dass ihr was passiert, kapiert?«
    Der Junge flüsterte eine Antwort. Squeaky bedankte sich und entfernte sich, während der Kleine sich aufrappelte und nicht eilig genug in der nächsten Quergasse verschwinden konnte.
    Squeaky stapfte in die ihm gewiesene Richtung. Er war hochgradig unzufrieden mit sich. Was, um alles in der Welt, war mit ihm los? Schon seit einiger Zeit benahm er sich wie gerade eben. Im Grunde hatte er dem Jungen doch kein Härchen gekrümmt. Früher hätte er ihm Ohrfeigen verpasst, bis ihm der Schädel gedröhnt hätte. War es die Zusammenarbeit mit Hester Monk, die ihn zu einem solchen Weichling gemacht hatte? Selbst wenn er irgendwann wieder auf die Straße zurückkehren wollte, wäre er gar nicht mehr dazu in der Lage. Er war ruiniert!
    Und das war noch nicht das Schlimmste. Wie vom Teufel gehetzt, jagte er immer tiefer in das Labyrinth aus schmalen Durchgängen, Sackgassen und Tunnels, die im Zickzack zum Fluss zurückführten. Noch ärger als der Umstand, dass er in seinem neuen Leben fast so etwas wie ein Mann von Ehre wurde, war, dass ihm das eigentlich ganz gut gefiel. Aber das war sein Geheimnis und durfte nie ans Licht kommen!
    Er befragte noch mehr Leute: Hausierer, Ladeninhaber, Pfandverleiher, Bettler. Einigen drohte er, andere bestach er – was ihm in der Seele wehtat, denn es war sein eigenes Geld, das er opferte.
    Er verfolgte Claudines Spur bis zu dem Tabakhändler und dem Buchladen, wo sie anscheinend zusammengebrochen und so unglücklich auf einen Käufer von Postkarten gestürzt war, dass alle Bilder auf den Boden geflattert waren.

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