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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Was, zum Henker, trieb diese dumme Frau nur um? Dennoch – trotz all seines Zorns, unter dem seine Sorge um sie schwelte, wusste er längst genau, was sie vorhatte.
    Dank ein paar weiterer Drohungen und Bestechungen sowie ein bisschen Fantasie erfuhr er von ihrer hysterischen Flucht, aber niemand vermochte zu sagen, wohin es sie nach zwei, drei Windungen der Gasse verschlagen hatte. Eine Verrückte, meinten seine Zeugen. Bestimmt sturzbetrunken. Dafür hätte er die Kerle am liebsten zusammengeschlagen. Claudine und betrunken? Niemals! Auch wenn sie vielleicht glücklicher wäre, wenn sie es hin und wieder wäre.
    Es wurde dunkel, und die schwüle Luft des Tages kühlte allmählich ab. Aber wo, zum Teufel, steckte diese Frau? In dem erbärmlichen Viertel hier konnte ihr alles Mögliche zugestoßen sein. Ohne Zweifel hatte sie grässliche Angst und musste froh sein, wenn es dabei blieb, zumal es bald stockdunkel war. Allmählich wurde er auf die Leute richtig böse und zeigte ihnen das auch. Vielleicht war der alte Squeaky doch nicht völlig verlorengegangen, sondern nur von ein paar Schichten seiner neuen höflichen Manieren verdeckt. Zu seiner Überraschung machte ihn dieser Gedanke gar nicht so glücklich, wie er das erwartet hatte.
    Es dauerte eine weitere Stunde, in der er herumfragte, an Fremde verwiesen wurde, trügerischen Hoffnungen folgte, die Falschen identifizierte, bevor er Claudine schließlich in einer Nebenstraße der Shadwell High Street auf den Stufen zu einem Mietshaus kauernd fand. Was, zum Kuckuck, trieb sie hier? Sie sah aus wie ein Häufchen Elend. Hätte er nicht eigens nach ihr gesucht, hätte er sie vielleicht gar nicht erkannt.
    Rasch baute er sich dicht vor ihr auf und versperrte ihr somit jeden Fluchtweg. Er bemerkte die Angst in ihrem Gesicht, doch sie war zu erschöpft, um sich zu rühren. Geschlagen und resigniert starrte sie ihn an, ohne ihn zu erkennen.
    Die Worte des Zorns erstarben auf seinen Lippen. Er war über sich selbst entsetzt, derart erleichtert zu sein. Sie zwar nicht guter Dinge, doch immerhin lebte sie und war unversehrt geblieben. Na gut, an seinen Gefühlen konnte er nichts ändern. Er schluckte und atmete tief durch.
    »Tja«, brummte er, nur um plötzlich doch noch die Beherrschung zu verlieren. »Was, in drei Teufels Namen, machen Sie hier, Sie dumme Kuh? Wissen Sie, was Sie angerichtet haben? Einen Mordsschreck haben Sie uns eingejagt und das ganze Haus in helle Aufregung versetzt! Da!« Er reckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. »Na los, stellen Sie sich nich’ so an! Was is’ los mit Ihnen? Haben Sie sich Ihre Scheißbeine gebrochen?« Er wedelte mit der Hand vor ihr herum und rammte sie ihr fast ins Gesicht. Doch genauso unvermittelt, wie ihn die Wut gepackt hatte, befiel ihn jetzt die Sorge, dass Claudine vielleicht tatsächlich verletzt war. Was sollte er dann tun? Er konnte sie unmöglich tragen; sie war stattlich und in jeder Hinsicht so gebaut, wie es sich für eine Frau gehörte.
    Langsam und überaus vorsichtig ergriff sie endlich seine Hand. Er zog sie zu sich hoch und atmete erleichtert auf, als sie stand. Gerade wollte er sie schon wieder anschnauzen, als er die Tränen in ihren Augen bemerkte – und noch etwas anderes: Dankbarkeit.
    Schniefend wandte er sich ab, um sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. »Gut, dann kommen Sie jetzt mit«, brummte er. »Wir gehen besser gleich heim.Wenn wir Glück haben, kriegen wir in der High Street’ne Kutsche. Können Sie sich in diesen hässlichen Ungetümen von Stiefeln überhaupt bewegen?«
    »Selbstverständlich«, entgegnete sie steif und geriet prompt ins Stolpern. Er musste sie auffangen und festhalten, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Auf eine Bemerkung verzichtete er, stattdessen zermartete er sich den Kopf nach einem anderen Gesprächsthema.
    »Warum sind Sie nich’ einfach heimgekommen?«, fragte er schließlich.
    Sie mied seinen Blick. »Weil ich mich verlaufen hatte.«
    Schweigend gingen sie weiter, wobei Claudine wegen ihrer Blasen leicht humpelte.
    »Haben Sie irgendwelche Bilder gefunden?«, erkundigte er sich schließlich nach etwa fünfzig Metern, obwohl er sich nicht sicher war, ob diese Frage wirklich eine gute Idee war. Aber vielleicht wäre es noch schlimmer gewesen, Claudine spüren zu lassen, dass er von vornherein mit ihrem Scheitern gerechnet hatte.
    »O ja«, antwortete sie und nannte ihm den Laden sowie die exakte Adresse. »Ich habe zwar keine Ahnung, wer

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