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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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kam ihm zuvor. Mit freundlicher, neugieriger Miene beugte er sich über sein Pult. »Mr. Tremayne, werden wir auch von Kommandant Durban Auskunft erhalten?«
    »Nein, Mylord«, stieß Tremayne grimmig hervor. »Zu meinem Bedauern ist Mr. Durban genau Ende letzten Jahres verstorben. Er hat sein Leben geopfert, um andere zu retten. Das ist der Grund, warum wir Mr. Walters aufgerufen haben.«
    Sullivan nickte. »Ich verstehe. Bitte fahren Sie fort.«
    »Danke, Mylord. Mr. Walters, würden Sie dem Gericht bitte erklären, wohin Sie dann fuhren und was Sie entdeckten?«
    »Jawohl, Sir.«Walters straffte die Schultern. »Wir sind den Limehouse Reach langgefahren, ungefähr auf die Höhe vom Cuckold’s Point, und dort waren ein Leichter, eine Fähre und zwei Bargen. Alle waren vor Anker gegangen und warteten. An einer von den Bargen hatte sich ein Junge verfangen, ungefähr zwölf, dreizehn Jahre alt. Der Mann auf dem Leichter hatte das bemerkt und gleich Alarm geschlagen. Natürlich kann man’ne Barge nicht so leicht aufhalten, und schon gar nicht’nen ganzen Verband. Darum sind sie noch gut hundert Meter weitergefahren, ehe sie den Anker werfen und nachschauen konnten, was sie da hatten.« Seine Stimme wurde noch leiser. Es gelang ihm nicht mehr, seine Emotionen zu verbergen. »Der arme Kleine war schrecklich zugerichtet. Die Kehle war von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt, und dann war er auch noch rumgeschleift und getreten worden, dass es ein Wunder war, dass er nich’ auseinandergefallen war. Er hatte sich in Seilen verfangen, sonst wär’ er mit der Ebbe rausgespült worden. Und dann hätten ihn die Fische bis auf die Knochen abgenagt.«
    Der auf seinem Podest thronende Sullivan schnappte nach Luft und kniff die Augen zu. Rathbone fragte sich, ob die Geschworenen dieses kleine Zeichen des Abscheus gesehen oder registriert hatten, dass Sullivan auffällig bleich geworden war.
    »Ich verstehe.« Tremayne verlieh der Tragödie zusätzliches Gewicht, indem er innehielt, damit auch das Gericht bei diesem Aspekt verweilen konnte. »Was taten Sie nach dieser Entdeckung?«
    »Wir haben sie gebeten, uns genau zu schildern, was passiert war; wo sie gewesen waren, als ihnen auffiel, dass die Barge auf’ne Leiche aufgefahren war; wie weit sie sie mitgeschleppt hatten, ohne es zu wissen …«
    Stirnrunzelnd blickte Sullivan Tremayne scharf an.
    Dem Vertreter der Anklage entging das nicht. »Mr. Walters, wenn Sie nichts von der Leiche ahnten, wie konnten Sie dann abschätzen, wie weit Sie sie mitgeschleift hatten?«
    Rathbone verkniff sich ein Lächeln, nicht, weil ihn die spitzfindigen Formulierungen und Tremaynes pedantische Genauigkeit nicht amüsiert hätten, sondern weil er darauf achten musste, ausschließlich Mitleid und Entsetzen zu zeigen – sonst würde das später gegen ihn ausgelegt. Kurzum, er verbannte alle Leichtigkeit aus seinen Zügen.
    »Weil bei der letzten Begegnung mit’nem anderen Boot noch nix dran war«, stieß Walters grimmig hervor. »Wenn was dranhängt und man achtern daran vorbeifährt, muss einem das auffallen.«
    Tremayne nickte. »Das sollte man meinen. Auf welcher Höhe muss diese Begegnung also stattgefunden haben?«
    »So ungefähr bei Horseferry Stairs. Da haben sie eine einfahrende Fähre passiert. Das Boot muss den Jungen irgendwann danach überfahren haben.«
    »Wussten Sie, wer dieses arme Kind war?«
    Walters zuckte zusammen. Plötzlich verzerrten sich seine Züge vor Wut und Mitleid. »Nein, Sir. In dem Augenblick noch nicht. Am Fluss gibt’s ja Tausende von Kindern … auf die eine oder andere Weise.«
    »Haben Sie danach an diesem Fall weitergearbeitet, Mr. Walters?«
    »Nein, Sir. Zum größten Teil hat sich Mr. Durban dahintergeklemmt. Er und Mr. Orme.«
    »Danke. Bitte bleiben Sie, falls mein gelehrter Freund, Sir Oliver, noch Fragen an Sie richten möchte.« Tremayne kehrte durch den Saal zu seiner Bank zurück und wies mit einladender Geste auf Rathbone.
    Dieser erhob sich, dankte ihm und schritt gelassen in die Mitte des Saals. Dort angekommen, blickte er zum Zeugenstand hinauf, wo Walters mit bedrückter, ängstlicher Miene wartete.
    »Guten Morgen, Mr. Walters«, begann er. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Darf ich Sie zu der großartigen Arbeit beglückwünschen, die die Wasserpolizei für uns alle leistet? Ich glaube, dass sie in den nun beinahe fünfundsiebzig Jahren ihres Bestehens den Verbrechen am Fluss mit erstaunlichem Erfolg Einhalt geboten hat. Mehr

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