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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ist es dann bei Fig nicht so gewesen?«
    »Vielleicht hatte man das auch mit ihm vor«, antwortete Hester, und zum ersten Mal wanderte ihr Blick von Tremayne weiter zu Rathbone. Auch in seinem Gesicht las sie Ekel und Kummer. Unwillkürlich fragte sie sich, was geschehen sein mochte, dass er sich gezwungen fühlte, jemanden wie Jericho Phillips zu verteidigen. Aus eigenem Antrieb hätte er das doch gewiss nicht getan! Er war ein kultivierter Mann, den jede Vulgarität abstieß. Ein Ehrenmann! Einmal hatte sie in ihm jemanden gesehen, der zu anspruchsvoll war, um mit der Unbedingtheit und Leidenschaft zu lieben, die sie brauchte.
    »Mrs. Monk?«, half Tremayne nach.
    »Es ist vorstellbar, dass er rebellierte«, vollendete sie ihren Gedanken. »Wenn er für Ärger sorgte, hätte er sich wohl nicht mehr so ohne weiteres verkaufen lassen. Vielleicht war er auch eine Führerfigur für Jüngere und wurde ermordet, um ein Exempel zu statuieren. Es gibt keinen schnelleren Weg, eine Rebellion im Ansatz zu ersticken, als den Rädelsführer zu exekutieren.« Das klang selbst in ihren eigenen Ohren zynisch. Merkten die Zuschauer, die Geschworenen und Rathbone selbst, dass sie die Formulierungen bewusst so drastisch wählte, um den eigenen Schmerz zu verbergen, der sonst unerträglich gewesen wäre?
    Ihre Gedanken kehrten zu Rathbone zurück. Hatte er den Fall angenommen, weil ihn jemand unter Druck setzte? War es möglich, dass er gar nicht geahnt hatte, wie widerwärtig diese Angelegenheit in Wirklichkeit war? Hatte er überhaupt darüber nachgedacht, wie das Geld verdient wurde, das er als Honorar erhielt? Und wenn ja, wie konnte er es dann annehmen?
    »Vielen Dank, Mrs. Monk«, sagte Tremayne leise. Sein Gesicht war blass, seine Lippen zusammengekniffen, als würde er persönlich trauern. »Sie haben uns ein schreckliches Bild gezeichnet, das bei aller Tragik dennoch glaubwürdig ist. Ihr Mut und Ihr Mitgefühl, das Sie in Ihrer Arbeit beweisen, ehren Sie.«
    Beifälliges Murmeln erhob sich. Zwei Geschworene nickten, einer schnäuzte sich heftig.
    »Das Gericht ist Ihnen zu Dank verpflichtet«, ließ sich Richter Sullivan vernehmen. Sein Gesicht war eine einzige Maske des Abscheus, und seine Wangen hatten sich hochrot verfärbt, als wäre sein Blut in Wallung geraten. »Für heute sind Sie entschuldigt. Zweifellos wird Sie aber Sir Oliver Rathbone morgen vernehmen wollen.« Er warf Rathbone einen Blick zu.
    »Mit dem Einverständnis des Gerichts, Mylord«, bestätigte Rathbone.
    Die Verhandlung wurde in aller Form vertagt, und sich am Geländer festhaltend, verließ Hester den Zeugenstand. Sie fühlte sich leer, sogar etwas schwindlig. Ein Gerichtsdiener bot ihr seinen Arm, doch sie lehnte dankend ab.
    Dann stand sie in der Eingangshalle vor dem Gerichtssaal, als sich auch schon Rathbone näherte. Tatsächlich war sie bewusst langsam gegangen, weil sie gehofft hatte, ihm zu begegnen. Es war ihr ein Anliegen, ihn von Angesicht zu Angesicht zu fragen, was ihn dazu gebracht hatte, einen solchen Fall anzunehmen. Wenn er in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte, warum hatte er nicht Monk um Hilfe gebeten? Freilich konnten wohl kaum finanzielle Probleme dahinterstecken. Keine Notlage konnte so schlimm sein, dass ein Mann wie er sich für so etwas hergab.
    Sie trat in die Mitte der Vorhalle, damit Rathbone eine Begegnung nicht vermeiden konnte.
    Er bemerkte sie, und seine Schritte wurden zögerlich, doch er blieb nicht stehen. Sie dagegen sehr wohl. Dann wartete sie einfach. Und er steuerte auf sie zu, die Augen auf die ihren gerichtet.
    Nur noch ein paar Schritte trennten sie, und sie wollte ihn schon ansprechen, als ein älterer Mann aus einem der Nebenräume trat. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor, auch wenn sie es nicht auf Anhieb einordnen konnte.
    »Oliver!«, rief er.
    Rathbone drehte sich um, und einen Moment lang verriet sein Gebaren Erleichterung, noch einmal davongekommen zu sein. »Arthur! Schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?«
    Aber natürlich! Arthur Ballinger, Margarets Vater. Fürs Erste konnte Hester nichts mehr tun. Das Gespräch, das sie sich wünschte, konnte nur in absoluter Vertraulichkeit geführt werden, sogar ohne Margarets Beisein – oder vielmehr: vor allem ohne Margarets Beisein. Hester wollte nicht, dass Margaret je erfuhr, wie nahe sie und Rathbone einander einmal gewesen waren. Was sie ahnen mochte, war das eine, es zu wissen, etwas ganz anderes.
    Sie reckte das Kinn etwas höher und verließ das

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