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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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worden war.
    Ein bitteres Lächeln flackerte über ihr Gesicht, als sie sich daran erinnerte, wie Rathbone unter Aufbietung seines ganzen juristischen Geschicks und einer gehörigen Portion Gerissenheit Squeaky dazu gebracht hatte, seine Bordelle dem Krankenhaus zu übereignen und obendrein in dem Asyl für Frauen, die ihm zuvor praktisch gehört hatten, die Bücher zu führen. Rathbone hatte Squeaky keine Wahl gelassen. Er hatte ein verwegenes Spiel gespielt, eines, das aus Rathbones Sicht in jeder Hinsicht gegen den Geist der Justiz verstieß, der er sein ganzes Erwachsenenleben gedient hatte. Zugleich hatte es ihm aber auch moralisch und emotional große Freude bereitet.
    Auch Hester hatte Squeaky wenig Entscheidungsfreiheit gelassen, genau genommen so wenig, wie sie nur konnte.
    Sie hatte die Küchentür erreicht. Ihre schnellen, leichten Schritte auf den Holzdielen hatten ihr Kommen bereits angekündigt. Mit einem Gemüsemesser in der Hand wandte sich Margaret zur Tür um. Zu Hause hatte sie für jeden Handgriff Bedienstete; hier konnte sie jede Aufgabe, die gerade anfiel, selbst erledigen. Sonst befand sich niemand in dem Raum. Hester war sich nicht sicher, ob es in der Gegenwart anderer leichter oder schwerer gewesen wäre.
    »Guten Morgen«, sagte Margaret leise. Sie stand regungslos da, die Schultern angespannt, das Kinn etwas vorgereckt, die Augen direkt auf Hester gerichtet. An diesem Blick erkannte Hester, dass sie nicht bereit war, ihr eine Entschuldigung anzubieten oder wenigstens eine Andeutung, wie versteckt auch immer, dass das Urteil in dem Prozess ungerecht war. Sie hatte die Absicht, Rathbone bedingungslos zu verteidigen. Hatte sie überhaupt eine Vorstellung davon, warum er sich dafür entschieden hatte, ausgerechnet Jericho Phillips’ Sache zu vertreten? Die Haltung ihres Kopfes, der starre Blick und das steife Lächeln legten den Schluss nahe, dass sie keine Ahnung hatte.
    »Guten Morgen«, erwiderte Hester höflich. »Wie steht es um unsere Vorräte? Brauchen wir Mehl oder Haferflocken?«
    »In den nächsten drei, vier Tagen nicht«, antwortete Margaret. »Falls die Frau mit der Messerwunde am Arm morgen heimgeht, werden sie wohl noch etwas länger reichen. Es sei denn natürlich, wir bekommen eine neue Patientin herein. Bessie hat heute Morgen ein paar Schinkenkeulen mitgebracht und Claudine eine Zwiebelkette und Hammelrücken. Im Moment geht es uns ganz gut. Ich glaube, wir sollten das Geld, das wir haben, für Lauge, Karbol, Essig und mehr Verbandszeug verwenden. Aber machen Sie sich selbst ein Bild von den Beständen.«
    Es war nicht nötig, dass Hester irgendetwas nachprüfte. Das wäre nur ein versteckter Hinweis darauf gewesen, dass sie Margaret für unfähig hielte. Vor der Phillips-Affäre wäre keine von ihnen auf die Idee gekommen, eine solche betonte Höflichkeit könnte je angebracht sein.
    Sie erörterten die medizinischen Vorräte, auch wenn es dazu nicht viel zu sagen gab: Alkohol zum Reinigen von Wunden und Instrumenten, Baumwollbinden, Fäden, Verband, Balsam, Laudanum, Chinin gegen Fieber, starker Wein zum Kräftigen und Wärmen. Die ganze Zeit lag eine achtsame Höflichkeit in der Luft und verstärkte das Gefühl, einen schmerzlichen Verlust erlitten zu haben.
    Hester war froh, als sie endlich zu Squeaky Robinson entkommen konnte. Der schnell aufbrausende, ständig betrübte ehemalige Bordellbetreiber hütete die Gelder der Klinik und beschützte jeden Penny davor, leichtfertig oder unnötig ausgegeben zu werden. Man hätte meinen können, er hätte das Geld im Schweiße seines Angesichts verdient und nicht einfach von den wohltätigen Spendern der Stadt aus den Händen Margarets erhalten.
    Er schaute von seinem Tisch auf, als Hester die Tür hinter sich schloss. Sein spitzes, leicht schiefes Gesicht unter dem langen Haar, das aussah wie von Motten zerfressen, war voller Anteilnahme.
    »Die haben das vermurkst«, bemerkte er, ohne sich darüber zu äußern, wen genau er meinte. »Wirklich schade. Dem Dreckskerl hätten sie den Hals strecken müssen, das steht schon mal fest. Dass wir jetzt viel Geld haben, ist da auch kein Trost, oder? Heute jedenfalls nich’. Vielleicht können wir uns morgen darüber freuen. Sie können fünf Pfund für neue Bettwäsche haben, wenn Sie wollen.« Das war ein außergewöhnlich großzügiges Angebot für einen Mann, der Bettwäsche für Straßenmädchen für so notwendig hielt wie Perlenhalsbänder auf einem Bauernhof. Es war einfach ein

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