Galgenfrist für einen Mörder: Roman
gerädert und gevierteilt gehört und seine Eingeweide an die Vögel verfüttert werden sollten! Aber das Gesetz sagt nun mal, dass er so unschuldig ist wie die Kinder, die er verkauft! Und alles dank diesem verfluchten Sir Oliver! Jetzt is’ keiner von den armen Schluckern, die gegen ihn ausgesagt haben, mehr in Sicherheit.«
»Ich weiß, Squeaky. Und ich weiß nur zu gut, dass wir sie im Stich gelassen haben. Wir haben zu vieles für selbstverständlich gehalten und uns von Zorn und Mitleid leiten lassen, nicht von unserem Verstand. Trotzdem muss etwas gegen Phillips unternommen werden. Das schulden wir allen. Wir müssen eben zusehen, dass wir ihn wegen etwas anderem wegsperren, das ist alles.«
Squeaky schloss die Augen und stieß ein entnervtes Seufzen aus, doch trotz aller Sorge flackerte ein mattes Lächeln über sein Gesicht. »Sie lernen’s wohl nie, was? Gott im Himmel! Was wollen Sie denn jetzt machen?«
Hester wertete das zwar nicht als Zustimmung, doch immerhin als Schicksalsergebenheit. Sie beugte sich über den Tisch. »Er ist ja nur hinsichtlich des Mordes an Fig freigesprochen worden. Das heißt nicht, dass man ihn nicht wegen etwas anderem anklagen kann …«
»Aber nich’ hängen!«, stieß Squeaky grimmig hervor. »Und er gehört aufgeknüpft!«
»Zwanzig Jahre im Coldbath Fields wären für den Anfang doch nicht schlecht«, entgegnete Hester. »Finden Sie nicht auch? Das wäre ein viel längerer, langsamerer Tod als der an einem Seil.«
Darüber dachte Squeaky einen langen Moment nach. »Da is’ was dran«, räumte er schließlich ein. »Aber Gewissheit is’ mir lieber. Das Seil sorgt für klare Verhältnisse. Ein für alle Mal.«
»Diese Wahl haben wir jetzt nicht mehr«, meinte Hester betrübt.
Er blickte sie an. Seine Lider flatterten. »Sie fragen sich bestimmt, wer ihn bezahlt hat, oder wissen Sie’s etwa?«
»Bezahlt?«, fragte sie verwirrt.
»Sir Rathbone«, erklärte er. »Er hat’s doch nich’ umsonst getan. Wieso hat er’s überhaupt getan? Weiß sie das?« Er deutete mit einer ruckartigen Bewegung seines Kinns in Richtung Küche.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Hester, die bereits fieberhaft überlegte, wer Rathbone bezahlt hatte und warum der Anwalt das Geld überhaupt angenommen hatte. Bisher war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass er jemandem einen Gefallen schuldig sein könnte, schon gar nicht einen, der eine solche Form der Rückzahlung erforderte. Wie konnte man sich überhaupt eine solche Schuld aufladen? Und wer ließ sie sich auf diese Weise zurückzahlen? Wünschte sich denn nicht von all den Personen, die Rathbone als Freunde betrachtete, jeder Einzelne Phillips’ Verurteilung genauso dringend wie Monk?
Squeaky verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Wenn Sie glauben, dass er’s umsonst getan hat, dann is’ das ein frommer Wunsch«, knurrte er. »Phillips hat Freunde an höchsten Stellen. Hab eigentlich nie gedacht, dass Rathbone auch dazugehört. Und kann mir das immer noch nich’ vorstellen. Aber ein paar von ihnen haben ungeheuer viel Macht – auf die eine oder andere Weise.« Er schürzte die Lippen. »Man kann nie wissen, wo sie ihre Finger überall drinhaben. In Schmuddelbildern steckt viel Geld. Je schmutziger, desto mehr. Wenn du welche von kleinen Jungs hast, kannst du deinen eigenen Preis verlangen. Erst für die Bilder, dann für dein Schweigen.« Er tippte sich mit einem Finger an einen Nasenflügel und musterte Hester missmutig.
Sie setzte schon zu der Entgegnung an, dass Rathbone niemals Druck, egal welcher Art, nachgegeben hätte, biss sich dann aber auf die Zunge.Wer wusste denn schon, was ein Mensch für einen Freund, der in Schwierigkeiten steckte, alles tun würde? Jemand hatte Rathbone das Honorar gezahlt, und er hatte es vorgezogen, nicht nach dem Grund zu fragen. Wer immer es war, gegolten hatten dieselben Rechtsgrundsätze und dieselbe Beweislast.
Squeaky verzog angeekelt die Lippen. »Durch das Anschauen von Bildern, wie sie Phillips verkauft, kann sich im Oberstübchen was verändern«, erklärte er, den Blick eindringlich auf Hester gerichtet, um sich zu vergewissern, dass sie begriff. »Selbst Leute, bei denen man das gar nich’ für möglich halten würde. Man braucht ihnen bloß die vornehmen Hosen und die schicken Hemden ausziehen, und schon fällt jeder Unterschied zum gewöhnlichen Bettler oder Dieb weg, was abartigen Geschmack betrifft. Nur dass manche Leute mehr zu verlieren
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