Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Wasserpolizei erfahren«, erwiderte Sutton.
»Wozu?« Nellie beäugte ihn misstrauisch. »Die werden dir doch eh nie übern Weg laufen.«
»Ich tu das für’nen Freund.«
»Wenn dein ›Freund‹ in Schwierigkeiten steckt, dann sollte er mit den richtigen Polypen reden. Die Wasserpolizisten sind Mistkerle. Auch wenn’s nich’ viele von ihnen gibt, kommt man kaum an ihnen vorbei.«
»Sauber?« Sutton zog die Augenbrauen hoch.
»Das schon«, gab sie zu. »Die meisten.«
»Monk?«
»War früher auf Streife in den Straßen. Fieser Hund, aber schlau. Stürzt sich auf’nen Fall wie so’ne dämliche Bulldogge.« Sie warf einen Blick auf den zu Suttons Füßen sitzenden Snoot. »Bulldogge«, wiederholte sie.
»Aber sauber?« Sutton ließ nicht locker.
»Ja, ja. Lass ihn in Ruhe. Es is’ besser, wenn er nie von einem hört.«
»Und Orme?«
»Sauber wie’n Baby nach dem Bad«, schnaubte sie.
»Durban.«
»Is’ doch egal. Der is’ ja tot. Hat sich auf’nem Schiff in die Luft gejagt.«
»Aber er war sauber?«
Sie neigte den Kopf zur Seite und verzog den Mund, sodass sie aussah, als hätte sie ein faules Ei gegessen. »Wenn du wieder hinter Jericho Phillips her bist, biste nich’ mehr zu retten. Er hatte was gegen Durban, und Durban hatte ihn auf dem Kieker. Keine Ahnung, was zwischen denen war, und ich werde den Teufel tun und mich da einmischen. Dabei will ich sonst immer gern wissen, was so alles gespielt wird. Man kann schließlich nie sagen, ob einem das nich’ irgendwann mal zupasskommt. Aber irgendwer hatte mal was über Durban erfahren, keine Ahnung, ob Phillips selber oder ein anderer, der ihn eingeweiht hatte. Was ich jedenfalls weiß, is’, dass Durban beileibe nich’ der Heilige war, für den ihn die von der Wasserpolizei gehalten ham. Hatte so seine Geheimnisse, das Kerlchen. Aber welche das waren, hab ich nie rausgekriegt. Darum hat’s auch gar keinen Sinn, dass du mich danach fragst, mein Lieber, und wenn du zehnmal glaubst, dass ich dir’nen Gefallen schulde.«
Mit dieser Auskunft musste sich Sutton zufriedengeben. Mehr war nicht aus Nellie herauszubekommen.
Als sie wieder auf der Straße standen, sagte er zunächst kein Wort und brach sein Schweigen nur einmal, um Hester zu fragen, ob sie weitermachen wollte.
»Selbstverständlich«, antwortete sie, obwohl sie einen Knoten in der Kehle spürte. Das Wort einer Frau, die möglicherweise Hehlerin von Diebesgut, Bordellbetreiberin oder Schlimmeres war, sollte nicht den Ruf eines tadellosen Mannes beflecken. Aber es war nicht Nellies Auskunft, die sie bedrückte, sondern ihre eigene Befürchtung bei der Frage, warum Durban Phillips so gnadenlos verfolgt hatte, nur um dann sein Unterfangen abrupt abzubrechen. Und warum hatte er die Jagd später wiederaufgenommen, obwohl sich von außen betrachtet nichts geändert hatte? Rathbone hatte mit seinem brillanten Intellekt die Schwächen in ihrer Argumentation bloßgelegt, alles Fragen und Zweifel, die einer Antwort bedurft hätten. Sie schämte sich wegen ihrer Versäumnisse, doch das vermochte die Stimmen in ihrem Inneren nicht zum Schweigen zu bringen.
Auch um Monk sorgte sie sich, denn sie wusste, dass er den inneren Frieden, den er nach langen Jahren endlich gefunden hatte, zu einem Großteil dem Umstand verdankte, dass ein Mann wie Durban, aufrichtig, klug und in sich ruhend, ihm die Aufgabe, die er selbst nicht mehr hatte zu Ende führen können, als sein Vermächtnis überantwortet hatte. Durban hatte Monk zugetraut, seine Männer zu führen, obwohl Monk bis dahin ein Einzelgänger gewesen war. Er war tapfer, intelligent, einfallsreich und manchmal rücksichtslos, aber beliebt war er noch nie gewesen. Nie zuvor hatte er die Treue oder das blinde Vertrauen anderer gewonnen.
Seit seinem Unfall hatten über die Jahre hinweg Erinnerungsblitze ein Licht auf vereinzelte Situationen geworfen; und mit Hilfe von Schlussfolgerungen war es ihm geglückt, die Lücken außen herum zu füllen. Das Bild, das sich daraus zusammensetzen ließ, war das eines Mannes, den er nicht immer mochte. Nur zu lebhaft konnte er sich vorstellen, warum er so unbeliebt gewesen war.
Er hatte sich alle Mühe gegeben, sich zu ändern. Durban war einer der wenigen gewesen, die das Gute in ihm erkannten und ihm ihr Vertrauen schenkten. Nun, da Oliver Rathbone plötzlich ein Fremder geworden war, ein Mann, den sie nicht mehr verstanden, stellte Durban umso mehr einen Schlüssel zu jenen inneren Gewissheiten dar, die
Weitere Kostenlose Bücher