Galgenfrist für einen Mörder: Roman
trat ein. Fast auf den Fersen folgte ihm ein Malaie mit gestreifter Hose und einer alten Seemannsjacke. Er ging mit leicht gespreizten Beinen, als wäre er immer noch an Bord seines Schiffs.
Scuff kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Im Empfangsraum drängten sich Dutzende von Männern mit Hautfarben in allen Schattierungen und mit fremdartigen Gesichtszügen, die alle in für ihn unverständlichen Sprachen oder Dialekten durcheinanderredeten.
Monk riss ihn aus seinemTagtraum, indem er ihn kurzerhand zu dem Mann mitzog, den er suchte, einem indischen Seefahrer aus Madras, der Durban offenbar mehrmals Auskunft erteilt hatte.
»Oh, ja, Sir, ja, ja.« Der Inder zeigte sich auch bei Monk sehr bereitwillig, als dieser das Wort an ihn richtete. »Gewiss habe ich bei mehreren Anlässen mit Mr. Durban gesprochen. Er beabsichtigte, einen sehr bösen Mann zu ergreifen, was überaus schwierig ist, wenn der Mann durch die Tatsache geschützt ist, dass er Kinder benutzt, die zu verängstigt sind, um gegen ihn auszusagen.«
»Und warum wandte er sich an Sie?«, fragte Monk ohne weitere Vorrede.
Der Inder zog die Augenbrauen hoch. »Es gibt bestimmte Männer, die ich kenne, verstehen Sie? Nicht, weil ich mir das ausgesucht hätte, sondern aufgrund meiner Geschäfte. Mr. Durban nahm an, ich hätte Kenntnis von... Wie soll ich das ausdrücken? … Schwächen? Wissen Sie, was ich meine, Sir?«
Monk hatte weder Zeit für Höflichkeiten noch für unklare Erklärungen. »Gäste auf Phillips’ Boot und ihre Bewirtung dort?«
Monks Unverblümtheit ließ den Inder zusammenzucken. »Exakt. Er nahm an, dass einige dieser Herren von enormem Einfluss waren, was die Durchleuchtung der Angelegenheiten auf dem Boot betraf, und natürlich den lebhaften Wunsch hatten, dass sie strikt privat blieben.«
»Angelegenheiten zwischen Phillips, diesen Herren und den Kindern, die sie missbrauchten?«, fragte Monk brutal.
»Sehr richtig. Ich sehe, dass Sie vollkommen im Bilde sind.«
»Waren Sie in der Lage, Durban weiterzuhelfen?«
Der Inder zuckte die Schultern. »Ich nannte ihm Namen und einzelne Vorkommnisse, habe aber keine Beweise.«
»Welche Namen?«, fragte Monk eindringlich.
»Bestimmte Hafenmeister, Zollbeamte, den Eigentümer eines Bordells, einen Kaufmann, der zugleich auch Hehler ist, auch wenn nur sehr wenige das wissen. Eine weitere Person, die Mr. Durban verfolgte, war Kapitän eines Schiffs, der sich an Land niedergelassen hatte, um sein eigenes Importgeschäft aufzubauen. Der Freund eines Zollbeamten, wie mir Mr. Durban sagte.«
»Das klingt eher nach Korruption im Zollamt als nach irgendetwas, das uns zu Phillips führt«, brummte Monk.
»Oh, es hatte sehr wohl mit Phillips zu tun«, beharrte der Inder. »Mr. Durban stand zwei-, dreimal unmittelbar davor, ihn zu verhaften. Doch dann verschwanden die Beweise auf einmal wie der Morgendunst nach Sonnenaufgang. Man kann zusehen, wie es geschieht, aber man kann ihn nicht festhalten, verstehen Sie?« Er schüttelte den Kopf. »Mr. Phillips’ Waren sind nicht billig, zumindest nicht diejenigen, die er auf seinem schmutzigen kleinen Boot verkauft. Die Männer, die sie erwerben, haben Geld, und Geld hängt mit Macht zusammen. Das ist der Grund, warum Mr. Phillips mit der Schlinge des Henkers so schwer einzufangen ist.«
Monk stellte noch mehr Fragen, die ihm der Inder beantwortete, doch als er sich, dicht gefolgt von Scuff, zum Gehen anschickte, war er sich nicht sicher, etwas wirklich Neues in Erfahrung gebracht zu haben. Alle möglichen Männer waren in die Sache verwickelt, und zumindest einige davon hatten die Macht, Phillips vor der Wasserpolizei zu schützen.
»Seien Sie lieber vorsichtig«, warnte ihn Scuff mit gepresster und vor Angst etwas schriller Stimme. Der Junge hatte inzwischen sogar seine Versuche aufgegeben, sich seine Besorgtheit nicht anmerken zu lassen. Trotz seiner kurzen Beine schaffte er es immer noch, auf gleicher Höhe mit Monk zu laufen, was freilich regelmäßig schnelle Zwischenschritte erforderte. »Die vom Zoll sind ganz schön üble Burschen. Wenn du die im Nacken hast, steckste tief im Schlamassel und kommst da nich’ mehr so schnell raus. Vielleicht ist das der Grund, warum Mr. Durban sich am Ende doch nich’ getraut hat, was meinen Sie?«
»Vielleicht«, brummte Monk.
Am Tag darauf begleitete Scuff Orme, und Monk zog allein los, um die wenigen Freunde oder Informanten zu besuchen, die er in der kurzen Zeit seines Dienstes am Fluss
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