Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
kämpfte mühsam um die Beherrschung. »Uns liegt nichts vor, das für eine Anklage gegen die Slatterys ausreicht. Und für Hugh Donovan und die anderen Unschuldigen, die aus dem Weg geräumt wurden, kommt das alles ohnehin zu spät. Aber die Polizei können wir drankriegen, sagen wir wegen ... Rechtsbeugung, Pflichtverletzung, geheimer Verabredung oder Verschwörung, Meineid ...«
»Okay, meine Liebe, das reicht«, keuchte White. Er wirkte wie kurz vor einem Kollaps, aber wir wollten ja nicht, dass man unseren Hauptzeugen in ein frühes Grab karrte. Nicht bevor er uns dabei geholfen hatte, seine Kumpane hinter Gitter zu bringen.
»Was Sie betrifft ...«, sagte Sam, an White gewandt, hielt jedoch kurz inne. Ihr Entsetzen war inzwischen kaltem Zorn gewichen. »Sie selbst könnten vielleicht mit einem milden Urteil davonkommen, wenn Sie sich als Kronzeuge zur Verfügung stellen. Aber nur, wenn Sie uns alles verraten. Der Rest Ihres Trupps wird nie mehr das Tageslicht sehen, falls ich mit meiner Anklage durchkomme. Kapiert?«
Er nickte unterwürfig.
Sam sah mir entschlossen in die Augen. »Ich rufe jetzt das Büro des Staatsanwalts an. Wir werden ihn dazu bringen, das Geständnis dieses ... Beamten zu protokollieren.«
»Ich würde ja gern bei seinen Kumpels vorbeischauen, allein schon, um zu sehen, wie Silver die Gesichtszüge entgleisen. Aber diesen kleinen Anflug von Schadenfreude verkneife ich mir wohl lieber, bis du Whites Geständnis schriftlich in der Tasche hast.«
Noch lange, nachdem Sam ein Taxi gerufen hatte und mit White zum Büro des Staatsanwalts unterwegs war, tigerte ich rastlos in der Küche auf und ab. Ein Tag zu spät! Nur ein einziger Tag hatte für Hugh über Tod oder Leben entschieden, verdammt. Das war so grausam, dass ich es einfach nicht verarbeiten konnte. Ich spürte, wie die altbekannte depressive Stimmung von mir Besitz ergriff, deshalb holte ich mir ein Glas und die Whiskyflasche und setzte mich damit an den Küchentisch. Wie lange würde ich wohl brauchen, um all das zu vergessen?
Eine Weile starrte ich die Flasche an, merkte, dass mein Herz raste, und ging im Kopf noch mal mein gestriges Gespräch mit Sam durch. Wir hatten uns geschworen, die Wahrheit herauszufinden. War Whites Geständnis nicht genau der Durchbruch, den wir uns gewünscht hatten? Für allzu viele Menschen zu spät, aber immerhin ein Durchbruch.
Ich schob die Flasche weg, zündete mir eine Zigarette an, inhalierte den Rauch und dachte über meine Zeit als Soldat nach. Bei einem Gefecht hing Sieg oder Niederlage vor allem von der eigenen inneren Einstellung ab. Kämpfte man sich vorwärts oder duckte man sich hinter den nächsten Busch? Auf keinen Fall durfte ich jetzt zulassen, dass meine Depressionen die Überhand gewannen und meinen Elan ausbremsten.
Also stellte ich die Flasche zurück auf das Sideboard und holte bei dieser Gelegenheit das Bündel mit der Waffe aus der Schublade. Nachdem ich die Gazette auf dem Tisch ausgebreitet hatte, deckte ich das Bündel auf, sodass der martialische Revolver zum Vorschein kam. Ich wiegte ihn in der Hand: gutes Gewicht. Danach entsicherte ich ihn, spannte den Hahn und zielte damit in meiner Vorstellung auf Slatterys Kopf.
Alle Indizien wiesen in seine Richtung. Aber auf eine Frage kam ich immer wieder zurück: Wo lag das Motiv? Wieso hatten sich die Slatterys auf diese Mordserie eingelassen? Das passte überhaupt nicht zum Profil einer typischen Glasgower Gang. Üblicherweise befassten sich die Banden mit Drogenhandel und Einbrüchen – vorzugsweise in Spirituosenläden. Darüber hinaus mit Erpressungen: Sie versicherten örtliche Geschäftsleute gegen Raubüberfälle, die Mitglieder der eigenen Bande im Fall einer Weigerung der »Kunden« durchführten. Vereinzelte Morde waren höchstens – in der Regel nicht geplante – Begleiterscheinungen des schmutzigen Alltagsgeschäfts.
Wieso hatte sich gerade die Slattery-Bande in eine andere Richtung entwickelt? Was hatte sie auf diese mörderischen Abwege geführt? Es musste irgendetwas Schwerwiegendes, Brutales gewesen sein, das sie aus ihrer »normalen« Kleinkriminalität herausriss. Im Fall Donovan handelte es sich um eine groß angelegte Vertuschungsoperation. Zeugen waren liquidiert und Beweismittel vernichtet worden, weil irgendein noch viel schlimmeres Verbrechen nicht ans Tageslicht kommen durfte. Doch was konnte schlimmer sein als Mord? Ich musste mehr über den Hintergrund der Slatterys in Erfahrung bringen. An
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