Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
nicht direkt. Wann sind Dermot und Gerrit in der Glasgower Szene aufgetaucht, wissen Sie das noch?«
»Ich dachte, Sie wären vor dem Krieg bei der Glasgower Polizei gewesen?«
»Ja, von 1933 an, bis ich zur Armee ging. Natürlich wussten wir alle über die Slatterys Bescheid, aber damals hielten sie sich noch ziemlich im Hintergrund. Wir hatten seinerzeit Wichtigeres zu tun, mussten andere Banden einbuchten, die, sagen wir, noch krasser zu Werke gingen. Die Billy Boys, die Norman Conks, die Calton Entry und so weiter.«
Offenbar übermannt von nostalgischen Gefühlen schüttelte er den Kopf. »Das waren noch Zeiten.«
»Die Slatterys hatten zu dieser Zeit schon alles unter Dach und Fach gebracht, alles unter Kontrolle. Sie waren zwar durch und durch kriminell, hielten sich aber von jeder Randale auf den Straßen fern. Umzüge mit Blaskapellen und Transparenten – so was war nie ihr Ding. Stramme Katholiken, keine Frage, aber nie hat man erlebt, dass sie bei den Paraden des Oranierordens Steine warfen oder das Kriegsbeil gegen die Derry Boys ausgruben. Ich versuche einfach nachzuvollziehen, wie sie in den letzten Jahren eine so unantastbare Dominanz entwickeln konnten.«
In McAllisters Gesicht vertieften sich die Falten, als er in seinen Erinnerungen kramte. »Hab einen meiner ersten Artikel für die Gazette über die Slatterys geschrieben. Muss etwa ... 1924 gewesen sein. Ich war gerade vom Record zur Gazette gewechselt.« Seine Augen leuchteten bei der Erinnerung auf. Vermutlich hatte er schon damals den Schlips getragen und als Erinnerungsstück aufbewahrt – diese Vorstellung fand ich irgendwie rührend.
»Tja, die Slatterys haben die hiesige Szene wie ein Wirbelsturm aufgemischt. Gerrit dürfte damals Mitte 20 gewesen sein. Sein großer Bruder Dermot Anfang 30. Kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt gab es einen der heftigsten Revierkämpfe, den die Gorbals je erlebt haben. Unsere irischen Freunde hatten sich mit dem Boss einer Messerstecherbande angelegt. Holten die Katholiken auf ihre Seite und metzelten die Bande einfach ohne Rücksicht auf Verluste nieder – und das ist wörtlich zu nehmen. Im Spital sah’s damals aus wie auf einem Schlachthof.«
»In welcher Branche waren die Slatterys damals aktiv?«
»Das Übliche: Buchmachergeschäfte, Drogenhandel, Schutzgelderpressung, gelegentlich auch Banküberfälle, als sie selbstbewusster wurden. Später haben sie noch die Straßenprostitution dazugenommen und sogar einige kleine Bordelle selbst betrieben. Haben die Mädchen dort untergebracht und den Freiern am Hauseingang das Geld abgeknöpft. War ein richtiges kleines Imperium.« McAllister wirkte selbst beeindruckt.
»War?«
»Das Imperium existiert noch, aber es hat sich verändert. Als sie reicher und reicher wurden, beschlossen sie, sich aus den anrüchigsten Geschäften zurückzuziehen. Sie kauften sich ein großes Haus in Bearsden, holten Dermots Frau aus Irland rüber und fingen an, Maßanzüge zu tragen. Allerdings versorgen sie bis heute halb Glasgow mit Drogen. Und soweit ich weiß, betreiben sie jetzt nur noch Edelprostitution. Beschäftigen offenbar nur noch erstklassige Nutten, alles sehr exklusiv«, bemerkte er nicht ohne Wehmut.
»Ich weiß noch, dass wir sie ein paarmal festgenommen haben, ihnen aber nie was Handfestes nachweisen konnten. Wie schaffen die das jedes Mal?«
»Oh, die saßen schon öfter im Gerichtssaal als jeder Richter. Insbesondere Gerrit – ein absoluter Schwachkopf. Sein großer Bruder Dermot hat ihn jedes Mal auf Kaution freibekommen. Der damalige Staatsanwalt, der olle Campbell, versuchte wieder und wieder, die Slatterys dranzukriegen, aber die engagierten die fähigsten Rechtsanwälte der Branche als Verteidiger. Denen gelang es, die Slatterys selbst bei scheinbar eindeutigen Straftaten rauszupauken. Seinerzeit munkelte man, es wäre Bestechung im Spiel: Einige der hohen Tiere im Justizapparat würden von den Slatterys regelmäßig mit Schmiergeldern versorgt. Aber das wurde, wohlgemerkt, niemals bewiesen.«
»Haben Sie eben den Namen Campbell erwähnt?«
»Genau. Ein knallharter Staatsanwalt. Manchmal schien es so, als wollte er aus persönlichen Gründen mit den Slatterys abrechnen. Doch als der Krieg ausbrach, beruhigte sich die Situation in der Szene. Heute gehen die Slatterys immer noch ihren üblichen Geschäften nach, versuchen aber ständig, ihr Image aufzupolieren und sich als ehrenwerte Bürger zu inszenieren. Aber was ist jetzt mit Ihrer
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