Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Leuten trotzdem in der »Räuberhöhle« – möglicherweise auch Sam Campbell. Ich ging hinter dem Baum in Deckung und lauschte, doch abgesehen vom Frühlingsgezwitscher der Vögel war es hier so still wie in einer Leichenhalle.
Die vordere Tür befand sich exakt in der Mitte der Hütte. Ich ging davon aus, dass es einen Hintereingang geben musste. Ich schlich weiter, bis ich an der Rückseite tatsächlich Stufen erreichte, die zu einer kleinen Veranda hinaufführten, in deren Mitte eine weitere Tür eingelassen war. Sie bestand aus Holz, verfügte über ein normales Schloss und einen Sicherungsriegel, schien aber nicht zusätzlich verstärkt worden zu sein.
Während meiner Grundausbildung bei der Armee hatte mir mein alter Stabsunteroffizier beigebracht, dass man sich im Zweifelsfall einfach die Seele aus dem Leib brüllen sollte, um den Gegner mit einem schnellen Angriff aus der Reserve zu locken. Ich verzichtete zwar auf das Kriegsgeschrei, flitzte aber entschlossen über die offene Lichtung, sprang die Holzstufen hinauf und warf mich mit der Schulter gegen die Tür.
Die Angeln quietschten vielversprechend, das Holz splitterte, und es entstand ein kleiner Spalt. Als ich kräftig dagegentrat, gab sie weiter nach. Ich stürmte ins Innere und riss mein Jagdgewehr hoch, während die Tür gegen die Wand schlug. Durch die Küche rannte ich in eines der vorderen Zimmer, in dem es stockdunkel war und sich offenbar kein Mensch aufhielt. Als Nächstes huschte ich einen Gang entlang und schaute in sämtliche Räume. Nichts. Außer Atem kehrte ich in den Eingangsbereich zurück und sah mich dort um, aber es war viel zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen.
Lichtschalter konnte ich nicht finden, es gab hier anscheinend keinen Strom. Also tastete ich mich zu den Fenstern vor, zog die schweren Vorhänge zurück und ließ meine Umgebung auf mich einwirken. Eine unscheinbare Couch. Zwei Polstersessel, deren Füllungen aus den geplatzten Nähten quollen. Ein stummes Transistorradio. Jede Menge Aschenbecher. Zwei Petroleumlampen.
Danach durchsuchte ich den Rest der Hütte. Vorne ein kleiner Flur, hinten die Küche, durch die ich gekommen war. Rechts und links von dem kurzen Gang zwei Schlafzimmer. Doch am Ende des Ganges entdeckte ich eine weitere Tür, die ich in der Dunkelheit übersehen haben musste. Sie war nicht nur abgeschlossen, sondern von außen sowohl unten als auch oben durch massive Riegel gesichert. Rechts davon hing ein großer Schlüssel an einem in die Wand geschlagenen Nagel. Darunter baumelte an einem primitiven Haken eine Petroleumlampe. Ich hielt kurz inne, um zu lauschen, konnte aber nur das Blut in meinen Ohren rauschen hören.
Nachdem ich das Gewehr gegen die Wand gelehnt hatte, schnappte ich mir die Petroleumlampe. Sicherlich hing sie nicht ohne Grund hier. Ich schüttelte sie: noch gut gefüllt. Ich zündete ein Streichholz an und hielt es an den Docht, der sofort aufflammte. Danach regelte ich den Brenner am Rädchen herunter, stellte die Lampe auf den Boden, nahm den Schlüssel vom Nagel, schob die schweren Riegel zurück und steckte den Schlüssel ins Schloss, das leicht knarrte, sich aber problemlos öffnen ließ. Mit dem Gewehr in der rechten Hand und der Lampe in der linken zog ich die Tür auf. Anfangs konnte ich nur den Fußboden erkennen, doch im Schein der Petroleumlampe erkannte ich bald mehr, als mir lieb war. Außerdem stank diese winzige Kammer zum Himmel.
Ich kannte Orte wie diesen. Eines meiner Verhöre hatte ich im Haus eines SS-Truppenführers und Lagerkommandanten durchgeführt. Es stand in unmittelbarer Nähe eines Konzentrationslagers bei Bremen. Der Mann hatte es sich dort wohnlich eingerichtet. Drinnen standen bequeme Sessel, an den Wänden hingen Bilder von Gebirgslandschaften. Die schweren roten Vorhänge vor den Fenstern waren farblich auf die kostbaren Teppiche abgestimmt. Aber das Haus verfügte auch über einen Keller. Als ich dort ankam, hatten andere die jungen Frauen bereits von ihren Ketten befreit.
Doch das hier war keine Erinnerung, sondern knallharte Realität. Als Erstes stach mir der entsetzliche Gestank in die Nase. Das widerliche Aroma geschundener und gefolterter Körper, die jegliche Kontrolle über ihre Ausscheidungen verloren hatten.
In einer Ecke des nackten Holzfußbodens lag eine schmutzige, mit unsäglichen braunen Flecken überzogene Matratze. Als ich die Lampe zur Decke schwenkte, sah ich, dass an den Balken zwei schwere Haken befestigt waren, die
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