Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
sie an und rieb mir über die plötzlich trockenen Lippen. »Was meinen Sie damit: Man musste Campbell das Handwerk legen? Und was bedeutet: Danach war alles geregelt? «
Sie zog die Mundwinkel hoch, als wollte sie die Zähne fletschen. Mit einem Mal wusste ich mit absoluter Gewissheit, worauf sie anspielte. Hinter der Häufung scheinbarer Zufälle hatte ein System gesteckt. Die ständigen Belästigungen durch Oberstaatsanwalt Campbell in den späten 20er- und frühen 30er-Jahren waren zu einem abrupten Ende gekommen, als Sams Eltern ertrunken waren. Ertränkt worden waren.
»Dermot hat den Vater und die Mutter der Anwältin umgebracht, stimmt’s? Auf dem See.«
Sie stand auf, ging zur Spüle hinüber, holte die Whiskeyflasche und zwei Gläser, schenkte uns ein und stellte die Flasche mit lautem Knall zwischen uns auf den Tisch.
»Mittlerweile spielt das alles keine Rolle mehr. Derry blieb nichts anderes übrig. Die gleiche Leier wie eh und je: Er musste seinen Bruder schützen. So war es schon immer.«
Mir wurde erneut übel. Vielleicht lag es daran, dass gerade das letzte verbliebene Adrenalin aus meinem Körper wich. Oder an dem irischen Whiskey, der stark nach Torf schmeckte. Es mochte aber auch an dieser langen, düsteren Geschichte liegen, die sich schon über so viele Jahre hinzog. Sie begann damit, dass ein altes Ehepaar während einer Wandertour mit voller Absicht ertränkt wurde, und mündete viele Jahre später in Sams Entführung. Oder war es sogar eine Ermordung? Nicht zu vergessen die brutale und kaltschnäuzige Beseitigung aller potenziellen, unliebsamen Zeugen. Mit dem endgültigen Rückzug der Slatterys in die alte Heimat und einer Orgie aus Blut und Gewalt steuerte sie jetzt auf ihr Finale zu.
»Wo steckt Samantha Campbell? Wissen Sie es?«, fragte ich leise. Vor der Antwort hatte ich regelrecht Angst.
Die Frau zuckte die Achseln, als wäre ihr das absolut gleichgültig. »Ich nehme an, Gerrit hat sie in seiner Gewalt. Der Junge ist völlig daneben – in geistiger Hinsicht, meine ich.«
Ich umklammerte die Tischplatte, denn mir drehte sich vor Wut und Angst der Magen um. Gerrit, dieser tollwütige Hund, hatte sich Sam geschnappt. »Wo ist sie?«
Sie nahm einen großen Schluck Whiskey. »Das wüssten Sie wohl gern, was?« Sie grinste hämisch.
Ich schmetterte das halb volle Glas gegen die Wand, wo es zerschellte und einen dunklen, stinkenden Fleck hinterließ. »Also los, spucken Sie’s besser aus! Und zwar hier und jetzt.«
Ich war bereit, die Information notfalls aus ihr herauszuprügeln, und das wusste sie auch. Das Grinsen war ihr vergangen und einen Augenblick lang blitzte nackte Angst in ihren Augen auf. Doch dann überzog sich ihr Gesicht mit einer undurchdringlichen Maske. Es war nicht das erste Mal, dass Gläser in dieser Küche flogen und sie bedroht wurde. Mrs. Slattery hatte das Schlimmste erlebt, was das Leben bieten konnte, und würde sich in diesen späten Jahren nicht in einen Wackelpudding verwandeln und umkippen.
Ich ließ das Schweigen andauern. Keiner von uns rührte sich. Da meine Hände zitterten, faltete ich sie auf dem Tisch, als wollte ich ein Gebet sprechen. Ich beschloss, der Information auf Umwegen näherzukommen.
»Sie haben vorhin gesagt, so sei es schon immer gewesen. Wie meinten sie das?«
Ihr Mund entspannte sich. »Schon in der Kindheit hat Dermot immer auf seinen kleinen Bruder aufgepasst.«
»Erzählen Sie mir davon.«
Sie musterte mich. Früher war sie bestimmt eine echte Schönheit gewesen, die anstelle der ergrauten Haare eine dichte schwarze Lockenpracht auf dem Kopf herumtrug. Dazu gesellten sich vermutlich deutlich feinere Rundungen, die Dermot Slatterys Blut in Wallung versetzt hatten. Jede Wette, dass sie einmal eine erstklassige Tänzerin gewesen war.
Erneut zuckte sie die Achseln und trank noch einen großen Schluck. »Es ging um Probleme mit Behörden und Ähnliches.«
»Waren Dermot und Gerrit Mitglieder der IRA?«
Sie lachte. »Aber klar doch, mehr oder weniger war das doch jeder in diesem Teil des Landes.«
»Was war mit diesem Priester?«, fragte ich auf gut Glück. »Wieso musste Pater Cassidy sterben?«
Ihr bereits erhitztes Gesicht färbte sich am Halsansatz puterrot. Schwankend stand sie auf. »Das reicht! Ich sag jetzt nichts mehr. Verschwinden Sie von hier. Sie haben das Leben meiner Familie zerstört. Hauen Sie einfach ab!«
Auch ich war mit meiner Geduld am Ende und baute mich vor ihr auf. »Wo steckt Gerrit Slattery?
Weitere Kostenlose Bücher