Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
an der er weiter zog. »Ja, von jemandem aus der Bevölkerung. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Ein Anruf?«
Silver nickte.
»Kannten Sie diesen mysteriösen Anrufer, dem das öffentliche Wohl so am Herzen lag, persönlich? War es einer Ihrer Informanten?«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich Ihnen sagen will, Brodie.«
»Also gut. Wo wurde der Junge festgehalten, ehe man seinen Leichnam fand?«
Kerr mischte sich ein. »Natürlich in Donovans Wohnung. Er hielt ihn dort versteckt.«
»In einer Einzimmerwohnung? Das wäre ja so, als wollte man einen Elefanten unter einem Hut verstecken. Kann ich mit dem Polizisten sprechen, der Donovans Zimmer als Erster durchsucht hat?«
Silver streckte die Hand hoch, um Kerr am Reden zu hindern. »Das war Robertson. Ein guter Mann vom Revier in der Cumberland Street. Ist derzeit aber nicht im Dienst, soweit ich weiß. Krankgeschrieben. Erholt sich irgendwo im Süden.« Erneut stahl sich ein gezwungenes Lächeln auf sein Gesicht.
»Wie praktisch.«
»Ihre nächste Frage ist auch die letzte.«
Da ich sah, dass es Silver ernst damit war, beschloss ich, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken. »Was werden Sie unternehmen, wenn ein weiteres Kind verschwindet, Silver? Wie wollen Sie das der Presse erklären? Wenn es verschwindet, während ein unschuldiger Mann im Gefängnis verrottet oder an einem Strick baumelt? Was dann?«
Die Mienen von Silvers Speichelleckern verdüsterten sich. Er selbst zuckte zwar nicht mit der Wimper, drehte aber die Zigarettenschachtel auf dem Schreibtisch hin und her. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Da draußen gibt’s stets Nachahmer, die sich einen Namen machen wollen. Das wissen Sie doch aus eigener Erfahrung, Brodie.«
Mittlerweile kochte ich vor Wut. »Also sucht ihr euch irgendeinen anderen Unschuldigen und hängt ihn, wie? Ihr würdet wohl tatsächlich einen nach dem anderen am Galgen baumeln lassen, bis die Morde irgendwann aufhören!«
»Falls nötig, ja, Brodie. Falls nötig. Und genau das ist die Wahrheit. Und jetzt werden Sie so nett sein, sich zu verpissen . Führen Sie ihn nach draußen, Wachtmeister.«
Leider kam es nicht infrage, ihm die Lichter auszuknipsen, jedenfalls jetzt noch nicht. Die beiden Arschkriecher grinsten schon wieder schmierig, als ich zur Tür ging. Aber ich drehte mich noch einmal um und starrte Silver an. Ihm war das Grinsen vergangen, er wirkte eher nachdenklich. Ich hoffte, ihm wenigstens ein paar schlaflose Nächte beschert zu haben, auch wenn ich nicht recht daran glauben mochte. Als sich die Tür hinter mir schloss, hörte ich eindeutig, wie eine Flasche gegen ein Glas klirrte. Zur Feier des Tages oder zur Beruhigung der Nerven?
17
Ich sah auf die Armbanduhr: 15:30 Uhr. Mir blieb noch Zeit für einen weiteren Besuch. Die Tobago Street verläuft von Norden nach Süden auf den Fluss zu. Ich wandte mich nach Süden, ließ die Canning Street mit ihren doppelten Straßenbahnspuren hinter mir und eilte weiter in Richtung Glasgow Green, Schauplatz vieler gewaltsamer Bandenkämpfe und weniger gewaltsamer Treffen von Liebespaaren. Allerdings vermutete ich, dass die vornehmen Viktorianer diesen Ort ursprünglich weder für das eine noch das andere vorgesehen hatten.
Ich ging am verwaisten Musikpavillon vorbei und wanderte den Weg am Clyde entlang bis zur Hängebrücke von St. Andrew, die zur Ostseite der Gorbals führt. Mitten auf der Brücke blieb ich stehen und zündete mir eine Zigarette an. In den Gorbals gab es zwei Adressen, bei denen ich vorbeischauen wollte: Eine war das Mietshaus, in dem Hugh gewohnt hatte, die andere Fionas Wohnung. Ich beugte mich über das Brückengeländer und beobachtete, wie das bräunliche Wasser unter mir vorbeirauschte. Die Symbolik entging mir nicht.
Meine letzte Begegnung mit Fiona lag ein halbes Leben zurück. Wie mochte sie sich verändert haben? War ihr Haar immer noch so lang und schwarz? Wie stand es um ihre Figur? Und glomm da immer noch ein leidenschaftlicher Funke? Ich nahm einen letzten Zug und schnippte meine Kippe ins Wasser.
Ein zehnminütiger Spaziergang durch das sorgfältig angelegte Straßennetz, das von – mittlerweile heruntergekommenen – viktorianischen Wohnhäusern gesäumt war, brachte mich zur Florence Street. Der Gebäudeeingang zu dem Mietshaus, in dem Hugh gewohnt hatte, unterschied sich in keiner Weise von allen anderen. Vier Stockwerke mit einem zentralen Eingang für sämtliche acht Mietparteien.
Draußen spielten mehrere barfüßige
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