Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Mädchen in schmuddeligen Klamotten »Himmel und Hölle«. Mit Kreide hatten sie auf dem zersprungenen Pflaster ein Spielfeld mit vielen einzelnen Kästchen aufgezeichnet und benutzten eine alte Schuhcremedose als Steinersatz.
Für eine Weile sah ich zu, wie sie mit ihren gelenkigen jungen Gliedern herumhüpften. Ein Bild der Normalität, auf das man sich stützen konnte, ein Ausgleich für all die Kriegsgräuel. Genau dafür hatten wir doch gekämpft, stimmt’s? Doch niemand hatte uns den Preis dafür genannt. Die Nächte voller Schrecken. Die Kopfschmerzen, die oft drei Tage lang anhielten, das Kotzen, bis sich der Körper wie Gelee anfühlte. Die immer wieder aufblitzenden Erinnerungen: wie die Luke der Landefähre plötzlich ins Wasser krachte. Wie die schweren Granaten ringsum in den jetzt offenen Zinnsarg einschlugen und Hackfleisch aus den Kameraden machten, ehe sie überhaupt einen Schuss abgeben konnten. Das schmatzende Geräusch, wenn Kugeln in Körper einschlugen. Harte Typen, die vor Angst schluchzten, wenn das Sperrfeuer zwei Tage und Nächte ununterbrochen anhielt.
Und jetzt kam auch noch dieses Bild zu all den ohnehin schon entsetzlichen Szenen dazu: ein kleiner, nackter Körper, leichenblass, von Stichwunden übersät, weggeworfen wie Abfall ...
Der düstere Eingang roch muffig, wie eine verstopfte Toilette. Der Gestank drang durch den Gang und die schmale Steintreppe in sämtliche Stockwerke hinauf. Während ich die steile Wendeltreppe erklomm, blickte ich nach jeder vollendeten Spirale aus den zersprungenen Fenstern auf die Grünfläche hinter dem Gebäude hinaus. Oben angekommen, blieb ich stehen, bis ich wieder bei Atem war. Es gab hier zwei Türen. Nummer 8 mit Hughs bescheidener Bleibe lag unmittelbar vor mir. Bei Nummer 7 musste es sich um die Wohnung mit Küche handeln, in der die mittlerweile spurlos verschwundene Familie gewohnt hatte. Aber irgendjemand hielt sich jetzt dort auf, denn ich hörte drinnen ein Kind laut krakeelen.
Als ich gegen die Tür hämmerte, hörte der Lärm einen Moment lang auf, setzte aber gleich wieder ein. Schritte. Eine junge Frau mit gehetzter Miene riss die Tür auf. Sie hatte ein Tuch mit Schottenmuster um sich und ihr Baby gewickelt. Ein rotznäsiger Junge von vier oder fünf Jahren, dessen Gesicht vor Zorn rot angelaufen war, spähte neugierig hinter ihrer Schürze hervor.
»Wat hatta jetz wieda angestellt?«, erkundigte sich die Frau.
»Ich weiß ja nicht, für wen Sie mich halten, Gnädigste, aber ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Sinnse vonne Polizei?«
»Nein, ich bin ...«
Doch sie zog die Tür bereits zu. »Wir brauchen nix ...«, sagte sie, während ich den Fuß in die Tür stellte. »Wennse nich gleich abhaun, Kumpel, brüll ich so laut, dass die Nachbarn se rausschmeißn, darauf könnse sich verlassn!«
»Ich will Sie doch nur fragen, was mit der anderen Familie passiert ist. Der Familie, die vor Ihnen hier gewohnt hat«, rief ich ihr verzweifelt nach.
Langsam öffnete sich die Tür wieder einen Spaltbreit. »Wieso?«
Ich musterte ihr scharf geschnittenes Gesicht und die argwöhnischen Augen. Hier würde ich mit Ehrlichkeit wohl am weitesten kommen. Und mit meinem alten Dialekt, zumindest so lange, bis sie Vertrauen gefasst hatte. »Weilse nen alten Kumpel von mir hängen wern, für ne Sache, die er nie im Lebn getan hat.«
Nachdem sie mich abschätzend von Kopf bis Fuß gemustert hatte, schielten wir beide zur anderen Tür hinüber.
»Geht’s um den da?«
»Ja, um Hugh Donovan.«
»Ich will Ihnen ma wat sagn. Die Wohnung hia hättn wir nie genomm, wenn wir gewusst hättn, wer nebenan gewohnt hat. Dat Dreckschwein von Mörder! Unn se sagn, er wärs nich gewesn? Wie wolln se dat wissen? Ham se ma ne Fluppe?«
Ich reichte ihr eine, entschied mich, selbst eine zu nehmen, und gab ihr Feuer. Während wir beide einträchtig rauchten, erzählte ich ihr, dass ich für Hughs Verteidigerin Campbell arbeitete und mit ihr zusammen das Berufungsverfahren vorbereitete. Ich sagte ihr auch, dass ich Hughs Verhaftung für ein abgekartetes Spiel der Polizei hielt, weil sie unter Druck gestanden hatte, der Öffentlichkeit so schnell wie möglich einen Mörder zu präsentieren.
»Der Polizei tät ich alles zutraun«, meinte sie. »Die ham neulich mein Mann eingebuchtet un gründlich vermöbelt. Er warn bissken angesüppelt gewesn, dat stimmt schon, abba angefangn mim Kloppen hatta andere Kerl.«
Ich grinste ihr mitfühlend zu. »Wohnt
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