Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Er taumelte einen Schritt zurück, schwang die Kette und erwischte mich an der linken Wange. Gleich darauf legte sie sich um meinen Kopf und riss mir am Kiefer die Haut auf. Als ich zurückwich, sah ich, wie Fergies Kumpel ein Bajonett zog, um es mir in die Brust zu rammen.
Ich tat das einzig Mögliche: Ich sprang.
In der Zeit bis zum Aufprall, die mir schier endlos vorkam, entging mir nicht, dass ihre grinsenden Gesichter mich die ganze Zeit beobachteten. Als ich schließlich aufs Wasser klatschte, ging ich sofort unter und versank in der endlosen grünen Tiefe. Wegen der plötzlichen Kälte setzte mein Herzschlag kurz aus, und das Salz brannte höllisch in den offenen Wunden. In dem von den Schaufeln aufgewirbelten Wasser war ich so gut wie blind. Als Glück im Unglück entpuppte sich, dass ich in Gegenrichtung des Schaufelrads gelandet war, sonst wäre ich in diesem Moment bereits Fischfutter gewesen. So drohte mir lediglich der Tod durch Ertrinken.
Ich trat wie ein Wilder um mich, kämpfte mich zurück an die Wasseroberfläche, schoss in die Luft, spuckte dabei Salzwasser und kam mir vor wie ein auftauchender Wal. Um mich schlagend und heftig hustend trieb ich in dem aufgewühlten Fahrwasser hinter der Fähre her. Ständig klatschte mir Gischt ins Gesicht und drang in sämtliche Körperöffnungen. Ich spürte, wie mein Mantel mich immer wieder nach unten zog, und kämpfte mich aus den durchnässten Ärmeln heraus. Als Nächstes befreite ich mich von den Schuhen, danach vom Jackett. Als die Wirkung des ersten Adrenalinstoßes nachließ, schwanden meine Kräfte schnell. Mit einer letzten Anstrengung gelang es mir, im rechten Winkel vom Kielwasser wegzuschwimmen, bis ich aus dem Sog der Strömung geriet.
Ich drehte mich auf den Rücken und ließ mich einfach treiben, prustete dabei wie ein harpunierter Seehund und schnappte nach Luft. Im Mittelpunkt stand der Versuch, mich zu beruhigen und mit meinen Kräften hauszuhalten. Als mein Körper sich ein wenig entspannt hatte, konnte ich mich ohne allzu große Anstrengungen über Wasser halten. Ich hielt nach dem Schiff Ausschau, das sich immer weiter aus meinem Blickfeld entfernte. Niemand außer meinen mordlustigen Kameraden hatte etwas mitbekommen. Keine Spur von einem Mannschaftsmitglied, das Mann über Bord! rief oder einen hübschen roten Rettungsring in meine Richtung warf. Die Wellen zogen mich ständig hinauf und wieder hinunter, doch das war nicht weiter alarmierend.
»Ihr Schweine!«, brüllte ich und schlug in ohnmächtiger Wut auf die Wellen ein. Die Vorstellung, wegen dieses menschlichen Abschaums sterben zu müssen, war einfach unerträglich. Ich schwor mir, den beiden Kerlen bei der nächsten Gelegenheit ihre dreckigen Hälse umzudrehen. Falls sie sich jemals bot ...
Nach und nach kühlte das kalte Wasser meinen Zorn so weit ab, dass ich eine nüchterne Bestandsaufnahme machen konnte. Das Timing hatte Fergie gut hinbekommen. Die Entfernung zwischen Brodick und dem Festland betrug rund 14 Seemeilen. Jetzt befand ich mich ungefähr auf halber Strecke. Ein anderes Schiff war nirgends in Sicht, aber die Strömung würde mich auf das nächstgelegene Festland spülen. Kein Trost, denn das bedeutete, dass mein aufgedunsener Leichnam vermutlich erst Tage später in Nordirland oder Neufundland strandete.
Der einzige positive Aspekt war, dass das Wasser selbst in dieser Jahreszeit nicht kalt genug war, um mich erfrieren zu lassen. Der Golfstrom sorgte dafür, dass das Meer vor der Küste von Ayrshire und der Westküste Temperaturen aufwies, bei denen man zumindest für eine gewisse Zeit überleben konnte. Nicht ganz so hart wie der »Murmansk Run« im Zweiten Weltkrieg zur Versorgung der russischen Front über den Meeresweg. Damals hatten sich die Männer durch das Nordpolarmeer und die Barentssee kämpfen müssen.
Ich konnte hier noch, na ja, zumindest einige Stunden aushalten, bis der kalte Atlantik mir den Rest gab und eine Körperfunktion nach der anderen ausfiel. Ich war zwar ein guter Schwimmer, aber noch nie sieben Seemeilen am Stück geschwommen, schon gar nicht in einem offenen Gewässer.
Da meine Hose mich nach unten zerrte, zog ich sie ebenfalls aus, danach auch Hemd und Socken. Warm hielt mich die Kleidung sowieso nicht, stattdessen musste ich ständig gegen ihr nasses Gewicht ankämpfen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass mich jemand entdeckte, würde es so wirken, als hätte ich in Unterwäsche nur ein kurzes Bad nehmen wollen und sei dann
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