Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
jetzt?«
»Wir warten und fassen nichts an.«
Sie starrte mich verwirrt an. »Er hat sich erhängt. Ist die Sache nicht eindeutig?«
»Nackt? Er wurde ermordet, Sam. An Füßen und Händen sind deutliche Spuren von Fesseln zu erkennen. Ich vermute, die Spurensicherung wird zu dem Ergebnis gelangen, dass man ihm außerdem einen Knebel verpasst hat, der erst nach seinem Tod entfernt wurde.«
Erneut schien jegliche Farbe aus ihrem Gesicht zu weichen, aber sie war aus hartem Holz geschnitzt. »Wird der Polizei das überhaupt auffallen?«
»Genau deswegen bleibe ich hier. Es wird ein langer Tag.«
24
Ich sollte recht behalten.
Es waren kaum zehn Minuten vergangen, als ein Ortspolizist hereinstürmte. Ich deutete auf den Altar. Als er von dort zurückkehrte, bewegte er sich wesentlich langsamer. Er setzte die Dienstmütze ab und wischte sich die bleiche Stirn.
»Schnappen Sie erst mal Luft«, empfahl ich ihm. Draußen hörte ich Stimmengemurmel. Offenbar hatten sich Cassidys Schäfchen vor der Kirche versammelt, um ihrem Hirten die letzte Ehre zu erweisen. Oder um mich zu lynchen. Das hing ganz davon ab, was die alten Frauen ihnen erzählt hatten.
»Ich weiß ja nicht, wer Sie sind, Sir, aber Sie müssen die Kirche unverzüglich verlassen«, sagte der Polizist.
Achselzuckend gingen wir nach draußen und wurden sofort mit Fragen und anklagenden Blicken bombardiert. Sam und ich zogen uns in eine ruhige Ecke zurück und teilten uns dort eine Zigarette. Kurz darauf hörte ich die Sirene eines Streifenwagens. Er kam vor der Kirche zum Stehen, zwei Männer sprangen heraus und eilten zu uns herüber. Die Gesichter kannte ich nur zu gut.
Kriminalmeister Kerr blieb so abrupt stehen, dass er fast gestolpert wäre. »Na so was! Wenn’s Ärger gibt, sind Sie nie weit, Brodie. Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?«
»Hab einen Schlag abbekommen. Und was war’s bei Ihnen? Im Übrigen haben Sie sich bestimmt um wichtigere Dinge zu kümmern als um meine Visage.«
Ihm schoss das Blut in die Wangen. Während er mich von oben bis unten taxierte, war ihm deutlich das Bedauern darüber anzusehen, dass hier so viele potenzielle Zeugen herumstanden. Schließlich folgte er dem jungen Ortspolizisten in Uniform durch den Hintereingang ins Gebäude. Der Kriminalbeamte White warf mir einen seltsamen Blick zu, als störte ihn irgendwas an mir. Dann verschwand auch er in der Kirche. Doch schon nach einer halben Zigarettenlänge kamen beide wieder heraus.
Kerr blieb an der Tür stehen. »Brodie, Miss Campbell, würden Sie bitte mal kommen?« Er winkte uns zum Hintereingang. Also gingen wir alle zusammen in die Sakristei, in der es langsam eng wurde.
Kerr begann mit dem Verhör. »Haben Sie den ...«
»Leichnam gefunden? Ja. Aber es wurde nichts angerührt. Es sei denn, einer von Ihnen, meine Herren, hat wieder an den Beweisstücken herumgefingert.«
»Was wollten Sie hier überhaupt?«, fragte White.
»Pater Cassidy besuchen. Sie wissen ja, dass er sich als Seelsorger um Hugh kümmert ... gekümmert hat. Er unterstützte uns bei den Nachforschungen.«
»Und wie sind Sie in die Kirche reingekommen? Der vordere Eingang ist abgeschlossen. Stand der hintere offen?«
»Das kann man so nicht sagen.«
»Also sind Sie eingebrochen!«, stellte Kerr triumphierend fest. Offenbar spielte er im Kopf bereits die ganze Bandbreite von Verfahren durch, die er nun gegen mich einleiten konnte: Einbruch, Verstoß gegen die guten Sitten (schließlich hatte ich eine Frau dazu verführt, einen Priester im Adamskostüm zu beäugen), Beleidigung eines Polizeibeamten (meine Bemerkung über Kerrs Gesicht). Mal ganz abgesehen davon, dass ich seinem Chef die gute Laune verdorben hatte und sowieso ein arrogantes Arschloch war.
»Viel wichtiger finde ich, Kerr, wer Pater Cassidy ermordet hat«, gab ich zurück.
»Reden Sie keinen Unsinn, Brodie! Einen so eindeutigen Fall von Selbstmord habe ich noch selten gesehen.«
Ich erklärte ihm, was ich gesehen hatte. Daraufhin sahen sich die Ermittler an und verschwanden wortlos in den Gang. Kaum eine Minute später waren sie zurück.
»Das beweist noch gar nichts«, polterte Kerr los. »Wir brauchen einen ordentlichen gerichtsmedizinischen Bericht.« Ich nickte. »Außerdem kommen Sie besser mit uns auf die Wache, Brodie. Falls tatsächlich ein Mord vorliegen sollte, sind Sie nämlich mein Hauptverdächtiger«, setzte er mit unverhohlener Schadenfreude nach.
»Das ist doch absurd. Wir haben lediglich den
Weitere Kostenlose Bücher