Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
seine Schandtaten das Leben genommen hatte. Was schwer zu beweisen war, solange wir keine direkte Telefonverbindung zur Hölle herstellen konnten. Anders sah es aus, falls er einen Abschiedsbrief mit einem Geständnis hinterlassen hatte.
Ich scannte die Umgebung mit Blicken ab. Cassidys Soutane lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Altar, darauf ein Rosenkranz; Unterwäsche, Schuhe und Socken waren auf dem Boden verstreut. Die Leiter, die ihren traurigen Zweck jetzt erfüllt hatte, war sehr hoch und auf beiden Seiten mit Sprossen ausgerüstet.
Als ich näher an den Leichnam herantrat, war der Gestank kaum noch auszuhalten. Ich achtete sorgfältig darauf, wo ich hintrat, und umkreiste den erstarrten Körper. Die unteren Gliedmaßen wirkten dunkler als der bleiche Oberkörper, denn dort hatte sich das Blut gesammelt. Nur das Gesicht und die um die Schlinge gekrampften Finger wirkten noch wie bei einem lebenden Menschen, würden aber schon bald schwarz anlaufen. Cassidys Füße hingen auf der Höhe meines Kopfes. Er hatte große gelbe Zehennägel und mit Hornhaut überzogene Fußsohlen. Aber etwas anderes fand ich weitaus interessanter: Rund um beide Fußgelenke wanden sich Ringe, die immer dunkler wurden. Es sah aus, als wären sie gefesselt gewesen. Ein Blick auf die Handgelenke verriet mir, dass sich dort ein ähnliches Muster abzeichnete. Das veranlasste mich dazu, meine Suche auszuweiten und ins kleine Hinterzimmer, die Sakristei, zurückzukehren.
Die kostbarsten Kleidungsstücke des Priesters hingen in dem schmalen Schrank: das weiße Chorhemd und das schwere Messgewand. In einer Schublade unter der Spüle fand ich etwas Besteck, unter anderem ein scharfes Messer. Ich nahm das Becken näher in Augenschein: Das Abflussloch verstopften Fasern – die Art von Fasern, die sich lösten, wenn man einen Strick durchschnitt. Das, wonach ich Ausschau hielt, fand ich schließlich auf dem Boden neben dem alten Sessel: ein kurzes, grob abgetrenntes Stück der einfachen Schnur, die der Pater dazu benutzt hatte, sein Chorhemd zu gürten. Ich rührte nichts an.
Als ich ins Kirchenschiff zurückkehrte, saß Sam aufrecht da und atmete wieder normal. Ihr Gesicht wirkte zwar angespannt und war schweißbedeckt, aber sie lächelte mir schwach zu. Allerdings vermied sie es, den am Strick baumelnden Priester anzusehen.
»Tut mir leid, Brodie, ich bin einfach ...«
»Ich wäre selbst fast umgekippt. Sollen wir jetzt die Hüter des Gesetzes informieren?«
Im selben Moment drangen Stimmen aus dem Gang zum Hinterzimmer herein. Gleich darauf riss die kleine Frau, die draußen so hilfreich gewesen war, den Vorhang auf und stürmte in die Kirche, zwei Freundinnen im Schlepptau. Alle drei trugen schwarze Mäntel und umklammerten ebenfalls schwarze Handtaschen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief ich, aber sie hatten zu viel Schwung, kamen erst kurz vor uns zum Stehen und fragten: »Wat geht hia vor? Welchet Recht ham se überhaupt, in unsere Kirche einzubrechn?«
Und dann sah eine der Freundinnen, was los war. Sah ihn.
»Ach du lieba Gott, Mutta Maria und Jesus ...«
»Oh mein Gott, Lizzie!«
Dann kreischten sie los. Kurzerhand scheuchte ich sie zurück in den Gang, während sie mich abwechselnd schlimmer Dinge bezichtigten und ihren Schöpfer anriefen. Durch das Hinterzimmer dirigierte ich sie nach draußen. Dort blieb ich stehen und versuchte, mir Gehör bei den schockierten alten Damen zu verschaffen. »Gehen Sie nicht wieder dort hinein. Und sorgen Sie bitte auch dafür, dass kein anderer die Kirche betritt. Kann eine von Ihnen vom nächsten Telefonhäuschen aus die Polizei verständigen?«
Das Trio schnatterte weiterhin wild und hysterisch durcheinander.
»Meine Damen, wir brauchen Ihre Hilfe! Bitte rufen Sie die Polizei an!«
Sie ließen mich so abrupt stehen, als läge es wirklich im Bereich des Möglichen, dass ich mich nach meiner Ankunft in die Kirche geschlichen, den Priester überwältigt und nackt ausgezogen hätte, um schließlich einen Strick um die Orgelpfeifen zu legen und ihn daran aufzuknüpfen.
Vor Aufregung stolpernd und dicht aneinandergedrängt verschwand das Trio um die nächste Ecke; die Damen gaben Laute von sich wie eine Robbenkolonie, die gerade von einem Schwarm riesiger Raubvögel angegriffen wurde.
Ich kehrte in die Kirche zurück. Sam, die mittlerweile in den Vorraum gegangen war, blickte auf, als ich hereinkam. Auf ihrem blassen Gesicht zeichneten sich rötliche Flecken ab.
»Und was
Weitere Kostenlose Bücher