Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
wollte sich gerade verabschieden, als ein Stadtbote erschien und noch vom Pferd, geradezu aus dem Stegreif verkündete, der Scharfrichter solle sich umgehend auf dem Galgenberg einfinden.
    Hella hielt das Pferd des Boten am Zügel fest. «Warum soll er das?», fragte sie. «Ist wieder ein Toter gefunden worden?»
    Der Bote rutschte unruhig auf dem Sattel hin und her. «Ich darf Euch doch nichts sagen, Richtersfrau.»
    «Aha», machte Hella. «Auf dem Galgenberg ist also etwas gefunden worden, von dem du mir nichts sagen darfst. Ist das so?»
    Der Bote nickte.
    «Dürftest du mir sagen, wenn sich dort eine tote Katze oder ein herrenloses Fass gefunden hätte?»
    «Aber ja», nickte der Bote. «Nur von Leichen   …» Er schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
    Hella lachte. «Reitet zurück. Ich werde niemandem sagen, dass dir etwas herausgerutscht ist.»
    Die Henkersfrau hatte unterdessen den Scharfrichter benachrichtigt, der im Anbau beschäftigt gewesen war. Der Stöcker brachte bereits das gesattelte Pferd.
    Einen Augenblick überlegte Hella, ob sie den Scharfrichter bitten sollte, sie mitzunehmen. Doch dann sah sie das Bild vor sich, welches sie abgeben würden: Heinz würde den Scharfrichter herangaloppieren sehen, an dessen Rücken sich seine Gattin klammerte. Sie musste ein wenig kichern, dann winkte sie der Henkersfrau zu und machte sich allein auf den Weg zum Galgenberg.
    Da sie bereits in der Vorstadt war, war der Weg zum Galgen nicht mehr weit. Hella lief ein Stück am Mainufer entlang, sah einem Fischer zu, der trotz des Regens auf Krebsfang ging und seinen Kahn vorsichtig in die Mitte des Flusses steuerte. Die Strömung war an dieser Stelle nicht besonders stark, sodass der Mann seine Netze ruhig ausbringen konnte. Etwas in ihr befahl ihr, sich dieses Bild unbedingt einzuprägen. Doch sosehr sie auch überlegte, sie wusste nicht, warum der Fischer mit dem Kahn in der Mitte des Mains so wichtig sein sollte. Trotzdem blieb sie stehen und prägte sich jede Einzelheit ein, bis der Fischer ihr einen Gruß zurief. Sie winkte ihm, dann ging sie weiter. Immer am Fluss entlang. Erst als sie in Höhe des Galgenberges war, wandte sie sich nach rechts. Ein Boot war an Land gezogen und lag umgedreht auf der Wiese. Wieder war es Hella, als müsse sie sich das Bild des Bootes tief einprägen. Und wieder wusste sie nicht, warum.
    Nachdenklich stieg sie den kleinen Weg hinauf, achtete dabei auf jeden Schritt, den sie tat. An einer Stelle war das Gras neben dem Weg etwas niedergedrückt. An eineranderen Stelle direkt auf dem Weg waren Hufabdrücke zu sehen. Der Henker ist also schon da, dachte Hella und lief aufmerksam weiter. Kurz bevor sie den Galgen erreicht hatte, sah sie plötzlich einen schmalen Streifen niedergedrücktes Gras. Ein Streifen, der von einem einrädrigen Karren stammen konnte. Einem Karren, wie er oft am nahen Hafen benötigt wurde.
    Sie hockte sich hin, besah die niedergedrückten Halme sehr genau, die sich an manchen Stellen schon wieder erhoben. Auch dies sollte ich mir gut einprägen, dachte sie. Dies ist die erste Spur, die hinauf zum Galgen führt.
    Der Weg vom Fluss führte an die Rückseite des eingezäunten Galgenberges. Hier war keine Pforte, sondern nur eine kniehohe Mauer, die es zu überwinden galt. Hella betrachtete die Mauer äußerst gründlich. An der Stelle, die dem Weg genau gegenüberlag, kniete sie sich sogar hin und untersuchte die Mauer Fingerbreit für Fingerbreit. Doch die behauenen Bruchsteine glänzten vor Nässe und unterschieden sich in nichts von den Steinen rechts und links neben ihnen.
    Vorsichtig stieg Hella über die Mauer, ging dahinter auf die Knie und untersuchte den Boden. Da, gleich hinter der Mauer, fand sie einen halben Schuhabdruck. Sie nahm ihr Taschentuch aus dem kleinen Lederbeutel, den sie mit sich führte, und ließ das Tuch neben der Stelle sinken. Dann robbte sie vorsichtig auf allen vieren weiter.
    Der Leichenbeschauer sah Hella als Erster.
    «Das lobe ich mir. Eine Ehefrau, die sich auf allen vieren ihrem Herrn nähert! Ich wusste gar nicht, Richter, dass Ihr eine so strenge Herrschaft in Eurem Hause führt.» Dazu lachte er schallend.
    Heinz Blettner fuhr herum und sah ebenfalls seine kriechendeFrau. «HELLA! Was in Gottes Namen tust du da? Steh auf, aber hastig!»
    Hella rappelte sich hoch, entnahm ihrem Lederbeutel einen kleinen Kamm und legte ihn ins Gras. Verblüfft sahen ihr Richter, Leichenbeschauer, Henker und Stadtmedicus zu.
    «Ihr

Weitere Kostenlose Bücher