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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Sie nahm einen Knüppel, schlug ihn demHund über den Rücken mit aller Kraft. Der heulte auf, und sie hörte Knochen knacken, drosch weiter auf das Tier ein, das in höchster Not schrie. So laut, dass es von den fernen Bergen widerhallte. «Hör auf!», schrie das Mädchen. «Hör endlich auf!» Sie wollte sich die Ohren zuhalten, doch das Geschrei drang durch ihre Hände, drang in ihren Körper, ließ sie zittern. Da nahm sie wieder den Knüppel und hieb auf den Hund ein, wieder und immer wieder, bis er endlich verstummte. Als sie den Knüppel fallen ließ, zuckte der Hund noch einmal mit den Hinterpfoten. Das Mädchen beugte sich zu ihm. Er sah sie mit einem Auge an, darin ein Ausdruck, der ein großes einziges Unverstehen war. Einmal noch leckte er sich über die Schnauze, verdrehte dabei das Auge, einmal noch atmete er, leckte, im Sterben schon, das Blut, ihr Blut, von seiner Schnauze und starb mit ihrem Blut im Mund.
    Da stand das Mädchen auf und ging zum Fluss. Sie lief einfach hinein, als würde sie die Kälte und Nässe nicht spüren. Ganz gerade hielt sie sich, die Schultern zurückgebogen, den Rücken durchgedrückt. Sie tauchte die Hände ins Wasser, strich sich dann das Haar zurück und lief weiter, bis das Wasser ihr bis zur Brust reichte.
    Dann blieb sie stehen, sah zur Sonne, die die Hügelkuppe erreicht hatte und hinter einer Wolke nur halb zu sehen war. Das Mädchen wartete, dass die Sonne ihr das Gesicht wärmte. Doch die Strahlen waren noch zu schwach. Da ging das Mädchen weiter, tiefer in den Fluss hinein. Sie hielt nicht an, als das Wasser ihr in den Mund drang. Sie ging weiter, als das Wasser ihre Nase füllte. Ging einfach, bis der Fluss über ihrem Kopf zusammenschlug.

Kapitel 9
    «Wohin des Weges, Blettnerin?», fragte der Torwächter.
    Hella blieb stehen und hielt sich die Hand über die Augen, weil die Sonne sie blendete.
    «Geht dich das was an, Torwächter?», fragte sie. Ihr Ton war spitz, viel spitzer, als sie beabsichtigt hatte, aber Herrgott, musste der Torwächter sich wirklich aufspielen, als hätte er einen Erziehungsauftrag für sie bekommen? Und musste Heinz seine Untergebenen eigentlich immer und immer wieder auf sie ansetzen? Sie war wütend darüber. Sie war wütend, weil sie sich durch das Verhalten ihres Mannes gegängelt fühlte. Aber das Schlimmste war, dass sie sich nicht einmal darüber beschweren konnte. Denn Heinz hatte recht. Eine Frau, die tat, als könne sie die Arbeit ihres Mannes besser verrichten als er selbst, musste auch für Heinz beschämend sein. Ein ewiges Dilemma. Wenn es einer Frau wenigstens erlaubt wäre, als Schreiberin im Rat zu arbeiten! Aber so blieb ihr nichts als das, was sie ohnehin tat. Wenigstens hatte sie in Gustelies eine Verbündete. Gustelies, die wusste, dass Frauen als Ermittlerinnen zumeist die bessere Nase und das bessere Gespür hatten. Gustelies, die sie stets dazu ermunterte, in des Richters Akten zu stöbern, und die nicht müde wurde, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Ganz so, wie sie es selbst getan hatte, als ihr verstorbener Mann und Hellas Vater noch als Richter sein Amt versah.
    «Der Herr Richter   …», stammelte der Torwächter.
    «…   hat dir nichts zu befehlen, was mich betrifft. Ich bin eine freie Bürgersfrau. Also scher dich.»
    Der Torwächter trat zur Seite. «Ihr müsst dem Euren ja nicht sagen, dass ich Euch durchgelassen habe.»
    Hella schenkte dem Mann einen verächtlichen Blick und ging wortlos weiter.
    Sie war in Gedanken, und immer, wenn sie angestrengt nachdachte, sprach sie die Worte halblaut vor sich hin: «Nur ganz kurz will ich auf den Galgenberg. Will mich nur davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Für Heinz tue ich es. Es ist nichts Unrechtes dabei.»
    Vor dem Mäuerchen sah sie sich um. Die letzten Märzveilchen blühten. «Wie kommt es nur, dass ausgerechnet auf dem Galgenberg alles grünt und blüht?», fragte sie sich und kannte die Antwort: «Natürlich! Weil es hier den besten Dünger gibt!»
    Sie kniete sich nieder und strich sanft über eines der Veilchen. «Wessen Blut dich wohl so schön gemacht hat?», fragte sie leise, dann schüttelte sie sich. «Es tut mir nicht gut, hier am Galgen zu sein. Ich komme auf törichte Gedanken.»
    Sie hob den Rock, um über das Törchen zu steigen, und stieß dabei mit dem Fuß gegen das Gitter, das quietschend aufschwang. Kopfschüttelnd ließ Hella den Rock los und starrte auf das Törchen. «Ich könnte schwören, dass es vorgestern noch

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