Galgentochter
Heinz.»
Gustelies fasste sie an den Schultern, schob sie von sich. «Wovor hast du Angst?», fragte sie leise.
«Ich weiß es nicht», erwiderte Hella, doch plötzlich stürzten ihr Tränen aus den Augen.
«Um Gottes willen, Kind, was hast du nur?» Gustelies nahm ihre Tochter bei der Hand, führte sie in die Küche und gab ihr einen Becher Milch zu trinken, in die sie zwei große Löffel Honig gerührt hatte.
Dann setzte sie sich ihr gegenüber. «Erzähl mir, was dich bedrückt», sagte sie, doch Hella brach erneut in Tränen aus und wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt. Ruhig setzte sich Gustelies neben sie, fuhr ihr sanft mit der Hand über Haar und Rücken.
«Ich … ich … habe Angst, dass Gott uns mit Kinderlosigkeit straft, weil ich mich stets in Heinz’ Arbeit gemischt habe. Das Weib sei dem Manne untertan, heißt es in der Bibel. Ich habe mich nie daran gehalten. Und jetzt ist schon wieder eine Leiche unter dem Galgen gefunden worden! Ach, Mama! Ich fürchte, ich werde niemals schwanger.»
«Ganz ruhig», tröstete Gustelies. «Und dann erklär mir noch einmal, was die Leichen mit eurer Kinderlosigkeit zu tun haben.»
Hella sah auf und wischte sich mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht. «Ich bin ein ungehorsames Weib», sagte sie mit fester Stimme. «Und Gott straft mich für meinen Ungehorsam mit Kinderlosigkeit.»
«Ach was!», fuhr Gustelies auf. «Das ist kompletter Unfug! Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun! Du bistauch nicht ungehorsam, höchstens ein bisschen eigenwillig. Gott hat dich so und nicht anders gemacht. Du hast in deinem ganzen Leben noch niemandem unrecht getan. Ganz im Gegenteil. Dein Eigensinn hat schon mehrfach dazu geführt, Unrecht zu strafen. So ist das.»
«Meinst du wirklich?», fragte Hella leise.
Gustelies nickte kräftig. «Ganz gewiss. Oder hat dir Pater Nau nach der Beichte schon einmal schwere Bußübungen auferlegt?»
Hella schüttelte den Kopf, dann kicherte sie leise. «Einmal nur», raunte sie. «Erinnerst du dich? Ich war noch ein Kind und hatte ihm die Ärmellöcher seines Priestergewands zugenäht.»
Sie lachte ein bisschen, aber als Gustelies sich bei der Erinnerung an diesen Vorfall vor Freude auf die Schenkel schlug, lachte auch sie lauter.
Im selben Augenblick kam Pater Nau zur Küchentür herein.
«Ah, meine Nichte», rief er aus. «Die Freude meiner späten Tage! Was treibt dich zu uns? Hast du etwa geweint?»
Hella senkte den Blick, und Gustelies antwortete an ihrer Stelle: «Sie hat Angst, dass der Herr, unser Gott, Heinz und sie mit Kinderlosigkeit straft, weil sie nicht immer ganz gehorsam ist.»
Pater Nau nickte. «Ja, der Ungehorsam des Weibes. Quelle allen Übels. So sagen die Kirchenlehrer. Ich aber sage, die Welt ist auch ohne Weiber ein Jammertal und das Leben ein Graus.»
«Meinst du, Gott straft uns so?», fragte Hella in bangem Ton.
Pater Nau trat zu ihr, hob die Hand, als wolle er ihr über das Haar streichen, doch dann ließ er sie wieder sinken undräusperte sich. «Ich kenne wirklich schlechte Weiber, die einen ganzen Stall voll mit Kindern haben, und jedes Jahr kommt ein neues dazu. Und ich kenne ehrbare Frauen, die sich noch nie etwas zuschulden kommen ließen und trotzdem ohne Kinder sind. Die Wege des Herrn sind unergründlich.» Er hielt inne, sah auf einmal streng drein und hob sogar den Zeigefinger. «Aber gehorchen musst du deinem Mann schon. Mordaufklärungen sind nicht Sache der Weiber.» Nun strich er Hella doch über den Kopf und ging sehr würdig davon.
«Da siehst du es!», teilte Gustelies mit, um sogleich zu fragen: «Was für eine Leiche fand man? Erzähl!»
Hella berichtete alles, was sie wusste, und bemerkte, dass Gustelies ganz unruhig auf ihrer Bank herumrutschte. «Meinst du, wir sollten ebenfalls zum Galgenberg gehen?», fragte sie, und ihre Wangen hatten sich dabei leicht gerötet.
Hella aber schüttelte den Kopf. «Nein. Ich will Gott nicht herausfordern. Ich werde dieses Mal meine Nase nicht in Heinz’ Angelegenheiten stecken. Etwas Schönes kochen werde ich ihm. Jawohl, das werde ich.»
Gustelies sah für einen Augenblick bestürzt drein, aber dann fasste sie sich, öffnete die Tür zur Vorratskammer, nahm den Weidenkorb, der dahinter stand, und befahl: «Gut, dann gehen wir gemeinsam auf den Markt und kaufen ein. Es wird Zeit, dass du Heinz’ Lieblingsgericht lernst.»
Hella fuhr zurück. «Gebackenes Kalbshirn im Eierteig?»
«Jawohl», erwiderte Gustelies
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