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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ungerührt. «Die Hintererin hat mir neulich ein Rezept gegeben, das sie von ihrer Verwandten aus Augsburg bekommen hat. Die Welser, die reiche Augsburger Kaufmannsfamilie, sollen angeblich danach kochen.»
    Hella schüttelte sich. «Kalbshirn, pfui!»
    Gustelies fuhr herum: «Willst du nun Buße tun oder nicht? Außerdem ist Kalbshirn nicht nur gut für den Verstand, sondern es reinigt auch das Blut.»
    Hella seufzte, nahm ihren Umhang. «Das hat bestimmt die heilige Hildegard herausgefunden. Also gut, lass uns gehen.»
    Auf dem Markt kauften sie zwei Pfund Kalbshirn, ein noch warmes Weißbrot, Milch, Eier, frische Petersilie und Kerbel. Wieder im Pfarrhaus angelangt, begann Gustelies mit der Arbeit und erklärte dabei ihrer Tochter jeden Handgriff: «Gieß aus dem Eimer etwas Wasser in die Schüssel. Das Hirn muss gewässert werden. Sobald sich das Wasser verfärbt, gießt du es ab und füllst neues in die Schüssel. So lange, bis das Hirn ganz weiß ist.»
    Hella rümpfte die Nase, fasste mit sehr spitzen Fingern nach dem Kalbshirn und schwenkte es sanft im Wasser hin und her, doch sie hielt den Blick dabei abgewandt. «Das Zeug ist einfach zu abscheulich.»
    Es dauerte, bis Gustelies zufrieden war. «So», sprach sie. «Jetzt ziehst du mit einem Kneifchen vorsichtig die Haut vom Hirn, während ich einen Kessel Wasser aufsetze, zwei Zwiebeln und drei, vier Nelken, dazu ein Achtel Essig gebe. Wenn die Haut ab ist und das Wasser kocht, werde ich das Hirn kurz überbrühen.»
    Hella nickte stumm und tat mit zusammengebissenen Zähnen, was die Mutter von ihr verlangt hatte.
    Nachdem das Hirn gebrüht und erkaltet war, schnitt Gustelies die Masse in fingerdicke Scheiben.
    «Zerbrösele das Weißbrot», trug sie ihrer Tochter auf. «Gib Milch dazu und sechs Eier, die Petersilie und den Kerbel, dann schabe ein wenig von der Muskatnuss dazuund streue eine Prise Zimt darüber. Vermische die Menge, damit ich die Scheiben darin wälzen kann.»
    Hella, froh, nicht mehr mit dem Hirn hantieren zu müssen, tat, wie Gustelies ihr befohlen hatte. Als ihre Mutter jedoch, ein Küchenlied singend, das Kalbshirn in der Eier-Weißbrot-Masse wälzte, sah sie doch genau zu.
    Einen Teil der panierten Hirnscheiben packte Gustelies anschließend in eine Tonschale. «Da, für Heinz. Heute Abend brätst du die Scheiben in heißem Schmalz gut aus und reichst Roggenbrot dazu. Die Scheiben für uns brate ich jetzt gleich. Du kannst mit Pater Nau und mir essen.»
    Hella schüttelte dankend den Kopf. «Ich bin noch satt vom Frühstück, Mutter. Esst ihr mal lieber allein. Ich setze mich derweil auf die Bank im Pfarrgärtchen und genieße die Sonne.»
    Gustelies sah aus dem Fenster. «Welche Sonne?», fragte sie. «Es ist trüb heute.» Doch dann verstand sie. «Gut, dann werde ich Pater Nau zum Mittag nur ein wenig weißes Brot mit guter Leberwurst bereiten und heute Abend kochen. Er ist sowieso der Meinung, dass warmes Essen am Abend Wunder tut, während ein heißes Mittagsmahl höchstens dazu führt, dass alles Blut aus dem Kopf in den Bauch fließt und er davon müde und träge wird.»
    Sie machte sich an die Arbeit und brachte dann einen Teller in das Arbeitszimmer des Paters.
    Als sie zurückkam, sagte Hella: «Kalbshirn zubereiten ist wahrlich eine große Buße. Ich glaube, so ein bisschen Ermitteln haben wir uns heute durchaus verdient.»
    Gustelies lächelte, strich ihr über die Wange. «So gefällst du mir schon viel besser, Mädchen.»
    Hella lächelte kurz, war aber mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders. «Was haben wir bisher?», fragte sieund gab sich gleich selbst die Antwort: «Eine tote Hure, einen toten Gewandschneider und nun noch einen toten Pfarrer.»
    «Einen was?», fragte Gustelies entsetzt.
    «Einen toten Pfarrer, einen von den lutherischen», entgegnete Hella, und Gustelies bekreuzigte sich. «Ich hab’s ja immer gesagt, dieser Luther und seine Lehren machen die Menschen im Kopf ganz verrückt.»
    Hella seufzte ein wenig. «Drei Tote also unter dem Galgen, am Galgen selbst jedes Mal ein toter Hund. Keine Spuren von Gewalt bei den ersten beiden, und ich nehme an, dass auch der Pfarrer kein Messer im Herzen hat.»
    «Also Tod durch Ersticken oder Gift», stellte Gustelies fest.
    Hella nickte ernst. «Womöglich beides. Es muss ein Gift gewesen sein, welches man weder sehen noch riechen kann. Eines, das die Menschen einfach und ohne Gegenwehr genommen haben.»
    «Vielleicht waren Speisen oder Getränke mit Gift

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