Galgentochter
Kanten Brot, den sie, obwohl dies ganz und gar unüblich war für den Abend, dick mit Pflaumenmus bestrichen hatte.
Nach dem Essen legte Richter Blettner sein Gesicht in Kummerfalten und fasste nach Hellas Hand. «Es tut mir leid, Liebes», sagte er. «Ich muss noch einmal hinaus. Der Zweite Bürgermeister hat mich zu sich bestellt. Diese Mordfälle nehmen Ausmaße an, mit denen keiner gerechnet hat.»
«Also ist es doch Mord?»
«Ich weiß nun, nach der dritten Leiche, nicht mehr, was es anderes sein könnte», stellte Blettner fest und zuckte mit den Achseln. Dann küsste er seine Frau und ging.
Hella wollte nichts tun, was Heinz ärgern konnte. Sie stand in der Wohnstube, sah ihm aus dem Fenster hinterher und flüsterte ein ums andere Mal: «Nein, ich werde nichts tun. Nichts, nichts, nichts.»
Doch kaum war Heinz um die Ecke gebogen, schloss sie das Fenster, eilte zu ihrer Kleidertruhe und wühlte darin, bis sie den nachgemachten Schlüssel für sein Arbeitszimmer in den Händen hielt. Sie ging in die Küche, in der die Magd das Geschirr spülte. Der Knecht saß auf der Küchenbank und starrte missmutig vor sich hin.
«Ich brauche euch beide heute Abend nicht mehr», erklärte Hella. «Ihr habt frei.»
«Soll ich nicht noch den Kamin anzünden?», fragte die Magd.
«Soll ich kein Holz schlagen für morgen?», fragte der Knecht.
Hella zögerte, dann schüttelte sie entschlossen den Kopf. «Die Scheite, die neben dem Herd liegen, reichen für morgen früh. Nach dem Frühstück kannst du Holz schlagen.»
Der Knecht stand auf, wünschte Gottes Segen und verschwand auf die Straße.
«In die Schenke der Fuhrleute geht er», beklagte sich die Magd. «Bestimmt kommt er erst mitten in der Nacht nach Hause und macht auf der Treppe Lärm.»
«Hm», erwiderte Hella, die sich im Augenblick nicht um die Befindlichkeiten der beiden Bediensteten sorgte. «Du kannst auch gehen. Besuche eine Freundin, geh in die Kirche, was weiß ich.»
Die Magd zog zu Hellas Vorschlägen einen Schmollmund. «Zu meinem Liebsten werde ich gehen.»
Hella nickte, wünschte Gottes Segen und stieg rasch die Treppe in den ersten Stock hinauf. Sie hörte die Holzpantinen der Magd klappern und dann die Tür ins Schloss fallen.
«Endlich», seufzte Hella und steckte den Schlüssel ins Schloss zu Heinz’ Arbeitszimmer.
Auf dem Schreibtisch lagen die Akten, die Heinz vorhin aus dem Malefizamt mit nach Hause gebracht hatte. Zuoberst lag das Protokoll des Medicus. «Keine Anzeichen von Gewalt, keine äußeren Verletzungen, keine Fremdgerüche, Mund, Nase, Ohren und Augen normal.»
Dasselbe hatte in den Akten der beiden anderen Toten gestanden. Auch im Protokoll des Scharfrichters stand nichts anderes als bei den beiden Malen zuvor.
Heinz selbst hatte seinem Schreiber diktiert: «Bei dem Toten handelt es sich um den Pfarrer der Dreikönigsgemeinde in Sachsenhausen, welcher dort seit fünf Jahren seinen Dienst versieht. Obwohl lutherisch, hat er seine Haushälterin nicht geheiratet. Nach Zeugenaussagen hatte er weder Freunde noch Feinde. Weitere Zeugen, insbesondere solche, die Angaben über seine letzten Lebenstage machen können, werden befragt. Ebenso müssen noch einmal die Zeugen der vorangegangenen Fälle befragt werden.»
Das Protokoll war noch nicht unterschrieben, und Hella erkannte daran, dass Heinz mit seinen Überlegungen nicht zu einem Ende gekommen war.
Ganz unten lag der Bericht über die Aussage des Tagelöhners Wilhelm Kunz, der die beiden Toten gefunden hatte. Der Schreiber hatte dessen Worte genauso notiert, wie Kunz sie gesagt hatte: «Ei, am Morsche vor vier Tach hab isch de Leisch von de Hur gefunne. Und gestern Amd lach da de Leisch von dem Pfaffe. Sonst hab isch ka Seele net gesehe. Derf isch gehe?»
Auf die Frage, wo der Tagelöhner arbeite, hatte er geantwortet: «Ei, mal hier, mal dort. Im Aacheblick bin isch im Hafe. Als isch de Hur gefunne hab, da habb isch beim Bau von de neue Brunne uffm Römer geholfe.»
«Gibt es dafür Zeugen?», las Hella die Frage ihres Mannes.
«Wie meine?»
«Ich frage, ob dich jemand gesehen hat.»
«Ei, nadürlisch. Im Hafe warn jede Menge Leut, alldieweil die dort aach schaffe due. Un am Brünnsche war es aach net anderster.»
«Wo wohnst du?»
«Isch hab a Kämmersche bei ner Witwe in Kahlbach.»
«Kann die bestätigen, dass du nachts das Haus nicht verlassen hast?»
«Ei, freilisch. Wohin soll isch aach in de Nacht gehe? Mer säscht, die Dämone sinn unnerwegs inne Nacht.
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