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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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duftete. «Die Zeit deiner Mutter ist noch gar nicht gekommen. Vielleicht hat sie sich nur den Magen verdorben.»
    «Nein!» Der Junge schüttelte heftig den Kopf. «Nein! Ich war dabei, als eine grüngelbe Flüssigkeit an ihren Beinen herablief. Viel davon. Eine große Pfütze.»
    Seufzend stützte sich die Hebamme am Tisch ab. «Die Fruchtblase ist geplatzt und das Fruchtwasser abgegangen. Warte, ich hole meine Tasche.»
    Sie lief, so eilig sie konnte, in ihre Kammer, holte ihre Tasche hervor und band sich eine saubere Schürze um. «Wir können gehen, Junge», sagte sie.
    Dann wandte sie sich an das Mädchen. «Wenn der Herrkommt, um seine Besorgung abzuholen, so gib ihm dies hier. Es ist ein Mittel gegen Kopfschmerz und Fieber.»
    Mit einem Augenzwinkern reichte sie dem Mädchen ein kleines Fläschchen aus braunem gebranntem Ton, welches ebenfalls mit einem Wachspfropfen verschlossen war.
    Das Mädchen nickte und lächelte.
    «Ich weiß ja, dass ich mich auf dich verlassen kann», fügte die Hebamme hinzu. «Das Geld soll er dir geben oder aber morgen wiederkommen.» Dann nahm die ältere Frau ihre Tasche und eilte seufzend dem Jungen hinterher.
    Das Mädchen aber setzte sich an den Tisch, legte die Hände vor sich auf das Holz und wartete. Als die Abenddämmerung wie ein großes graues Tier durch die schäbigen Gassen kroch, klopfte es. Das Mädchen stand auf und öffnete. Der Mann, der vor dem kleinen Häuschen stand, war groß gewachsen. Das braune Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Seine grünen Augen blickten überrascht, um den schmalen Mund mit den scharfgezeichneten Lippen spielte ein Lächeln.
    «Wer bist du?», fragte er.
    Das Mädchen erwiderte nichts, winkte ihn jedoch mit der Hand ins Haus hinein. Der Mann folgte ihr in die Küche, sah sich neugierig um. «Wo ist die Alte? Die Hebamme meine ich.»
    Das Mädchen wies mit der Hand zur Tür.
    «Sie ist ausgegangen?», fragte der Mann.
    Das Mädchen nickte und bot dem Mann mit einer Handbewegung einen Platz an.
    Der Mann setzte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Heiß ist es heute», sagte er. «Man könnte meinen, der Teufel gibt uns einen Vorgeschmack auf das Höllenfeuer.»
    Das Mädchen füllte einen Becher mit brunnenkaltem Wasser und stellte ihn vor dem Mann ab. «Danke», murmelte er, nahm den Becher und trank das Wasser in einem Zug.
    Dann betrachtete er das Mädchen von oben bis unten. Sein Blick erfasste ihr Haar, glitt an ihrem Körper hinab und wieder hinauf zu ihrem Gesicht.
    Das Mädchen erschrak, aber es war ein wohliges Erschrecken. Sein Blick, dachte sie, fühlt sich wie ein Streicheln an.
    «Redest du immer so wenig, oder magst du nur mit mir nicht reden?», fragte der Mann.
    Das Mädchen öffnete den Mund, als wollte es etwas sagen, dann aber schüttelte es den Kopf und schwieg. Sie hätte sprechen können. Es war nicht wie in der Kirche, als der Anblick des Priesters ihr die Sprache verschlagen hatte. Diesmal war es so, dass der Anblick des Mannes sie bannte. Er war so schön. So schön und gut gekleidet. Er wirkte so reich und mächtig, und sie fühlte sich so arm und klein und hässlich, dass ihr die Worte in der Kehle erstarben.
    Der Mann stand auf, stellte sich vor sie, fuhr mit dem Daumen leicht über ihre Lippen.
    «Du hast einen schönen Mund», sagte er, und das Mädchen senkte den Kopf. Der Mann stand so nahe, dass sie seinen Geruch einatmete. Nach Frühling duftete er, nach frischem Gras und nach einem Duftwasser. Das Aroma stieg dem Mädchen in die Nase.
    «Du bist schön», sagte der Mann mit leiser Stimme. «Schön und stumm. Ein Geheimnis.»
    Das Mädchen lächelte. Noch nie hatte ihr jemand gesagt, dass sie schön war. Und keiner hatte sie je ein Geheimnis genannt. Das gefiel ihr. Sie wollte ein Geheimnis sein, nichtoffen für jedermann. Ein Geheimnis, dachte sie, ist so gut wie ein Versteck. Zaghaft hob sie den Kopf und sah ihn an. Seine hellen Augen hielten ihrem Blick stand, sahen eindringlich in ihre Augen, als wollten sie versuchen zu lesen, was hinter ihrer Stirn stand. Das Mädchen konnte sich nicht abwenden. Wie an Fäden hing sie an seinem Blick.
    Der Mann hob die Hand. Rasch und ein wenig ungeschickt griff das Mädchen nach dem Gelenk, presste sein Gesicht in diese warme weiche Hand.
    «Oh, du bist aber anschmiegsam», lachte der Mann leise.
    Da fuhr das Mädchen zurück und senkte den Blick.
    «Komm her zu mir. Komm wieder her», lockte der Mann, doch sie blieb und rührte sich nicht.
    Da

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