Galgentod
Aber ich konnte ihn sehen, weil das Fenster auf der Rückseite meines Hauses genau darauf zeigt.«
Nun horchte Erik auf. Dieses Detail war interessant – und nicht nur das, es war brandheiß. Es würde bedeuten, dass Fred Recktenwald in diesem Punkt gelogen hatte.
»Warum hast du uns das nicht schon viel früher gesagt?«, fragte er. »Du hast mir immer nur ausweichend geantwortet. Damit hast du wichtige Fakten zurückgehalten.«
»Ich wollte doch nicht, dass du so schnell mit deiner Arbeit fertig bist und wieder aus meinem Leben verschwindest.« Mirnas Lächeln traf Erik bis ins Mark. Er wandte seinen Blick ab, schon spürte er ihre Hand an seiner Wange. »Ich hoffe, du bist mir nicht böse.«
»Ob ich dir böse bin oder nicht, ist hier nicht relevant«, schimpfte er. »Es geht darum, dass du uns Informationen vorenthalten hast. Warum hast du mit keinem Wort erwähnt, dass du ihn in dieser Nacht gesehen hast? Du hast genau gewusst, nach wem wir suchen – hast uns aber hingehalten.«
Mirna schaute Erik nachdenklich an, bevor sie meinte: »Wird Fred Recktenwald jetzt verhaftet?«
»Nein. Wenn überhaupt, dann wird er festgenommen«, korrigierte Erik. »Nur, warum sollte er die Lehrer ermorden?« Er schaute Mirna an. Ihre schwarzen Haare glänzten in der strahlenden Sonne, ihre großen, dunklen Augen leuchteten in dem blassen Gesicht, als sie antwortete: »Vielleicht, weil er in mich verliebt ist.«
Erik verschluckte sich fast vor Schreck. Er schaute Mirna prüfend an. Doch nichts an ihr verriet ihm, dass sie scherzte.
»Du hast mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt«, murrte er und ärgerte sich mehr über sich selbst als über Mirna. Ihm hätte von Anfang an klar sein müssen, dass sie ein übles Spiel mit ihm trieb.
»Ich führe dich nicht an der Nase herum«, gurrte Mirna. »Niemals käme ich auf den Gedanken, es mir mit dir zu verscherzen.«
»Und warum tust du es dann? Wir suchen hier einen gefährlichen Menschen, der vor Mord nicht zurückschreckt, wie du wohl gesehen hast. Und du hast nichts Besseres zu tun, als der Polizei Informationen vorzuenthalten.«
»Das habe ich nicht getan«, wehrte sich Mirna und versuchte sich weiterhin Erik aufzudrängen. »Ich hatte es einfach nur vergessen. Es ist mir erst jetzt wieder eingefallen.«
»Unterschätze mich nicht!«
»Aber das ist die Wahrheit.« Mirnas Gesicht rötete sich vor Aufregung.
»Ich habe dich für intelligenter gehalten.« Mit diesem Worten ließ er sie einfach allein zurück, steuerte seine Kollegin an.
»Können wir fahren?«, fragte er hastig.
Esther hatte Mühe ein Grinsen zu unterdrücken, als sie antwortete: »Wir können. Ich bin hier fertig.«
Sie steuerten den Dienstwagen in einem Tempo an, dass Esther Erik kaum folgen konnte.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte sie entrüstet. »Hat dich diese Mirna aus dem Konzept gebracht?«
Abrupt blieb Erik stehen und fragte: »Was soll diese Frage?«
Esther spürte, dass sie zu viel gesagt hatte. Also nahm sie sich vor, ab sofort zu schweigen.
»Was wird unter den Kollegen über mich und Mirna spekuliert?«, fragte Erik in einem schroffen Tonfall weiter.
»Gar nichts«, log Esther unbeholfen.
»Das wird ja immer schöner.« Erik setzte seinen Weg zum Auto fort. »Habt ihr schon Wetten abgeschlossen, wie langes es dauern wird, bis ich endlich den gleichen Fehler wie Bernhard mache?«
Sie stiegen ein und fuhren los. Lange Zeit herrschte bedrücktes Schweigen im klimatisierten Auto, bis Esther endlich einen Anfang machte: »Ich habe von Lara Ferringer und Dominik Jost erfahren, dass Recktenwald in die Schule gekommen ist und Bertram Andernach zur Rede stellen wollte, weil er Mirna so mies behandelt hat.«
Erik horchte auf.
»Das Ganze verlief natürlich nicht gerade heldenhaft, weil Recktenwald als Nachbar überhaupt keine Befugnisse hat, sich als Mirnas Vormund aufzuspielen.«
»Und Mirna?«, fragte Erik. »Wollte sie denn überhaupt, dass er so etwas veranstaltet?«
»Nein. Es war ihr angeblich megapeinlich .«
»Was ist passiert?«
»Andernach hat Recktenwald lächerlich gemacht, weil er ihn als seinen ehemaligen Schüler erkannt hat, der damals keine besonders große Leuchte war.«
»Das ist wirklich megapeinlich«, erkannte Erik. »Für Andernach hatte Recktenwald tatsächlich ein Motiv.«
Esther nickte.
»Und ich habe gerade von Mirna erfahren, dass er – entgegen seiner Behauptung – in der besagten Nacht nicht zuhause war. Damit haben wir
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