Galileis Freundin (German Edition)
Essen.
Doch wo befand sich ihr wirklicher Sinn? Wo waren ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Seh n süchte? Die Pflichten des Ordens übernahm sie wie ein Webstuhl, der mechanisch, von den Füßen des Webers getreten, seine Aufgabe erfüllt. Ihre Meditationen liefen zu einem einzigen Ziel, jenseits des großen Meeres nach Aix. Ihre Sehnsucht eilte in die ferne Provence, in der sie noch niemals in ihrem Leben gewesen war, die sie nur aus den Erzählungen des Vaters und ihres Liebhabers kannte. Wie konnte sie zu einem Gott beten, der es erlaubt hatte, dass ihre Mutter so früh verstorben war, ihr Freund Datini zu Tode gefoltert wurde, sie aus der Ruhe der Burg Picchena in das schwindsüchtige Haus der Buondelmonti verjagt worden war, sie ihrer Kinder beraubt worden war und nicht zuletzt ihr der Mann ihrer größten Liebe vorentha l ten wurde.
„Es kann nicht mein Gott sein, der einen Kardinal soviel Unrecht tun lässt .“
In ihren Gebeten, in den Meditationen flehte sie ihren Frains d’Aix an, er möge sie schnell nach Hause holen. Dies hier konnte niemals ihr zu Hause sein.
„Erhebe dich mein Freund, lass deine Treue alle deine Ängste und Nöte überwinden, mach dir Mut, verschaffe mir die Glückseligkeit der Heimkehr in deine Arme. Wie sehne ich mich nach dir. Wie will ich endlich in den Mauern deines kleinen Hauses Rast und Ruhe finden. Ein Blick von dir aus weiter Ferne, die leichte Berührung deiner Hand, der Hauch deines Atems werden mir das einzige wahre Glück auf dieser so trostlosen Erde verschaffen. Frains hilf mir, schenke mir die Freiheit an deiner Seite.“
In den Gemächern der Suore Mattea saß die Gräfin Picchena auf einem grünen Brokatstuhl. Ihre Arme lagen auf dem Schreibtisch vor ihr. Eine düstere Strafpredigt erwartete sie. Doch die Schwester Oberin, auf der anderen Seite des großen Tisches, schien milde gestimmt.
Caterina spürte zum ersten Mal so etwas wie eine mütterliche Wärme, die ihr von der Leiterin des Klosters entgegen wehte. Sie hatte Strafe erwartet. Nun erfuhr sie Liebe und Verständnis. Sie war nahe daran, sich der Suore Mattea anzuvertrauen. In dem dämmrigen Offzium öffnete sich das Herz der Converse, als sie die Finger der Oberin auf ihren Unterarmen spürte. Mit leichten, streichelnden Bewegungen fuhr die Klosterfrau zärtlich über ihre empfindlichen und empfänglichen Unterarme. Ein leichter Schauer erfasste die Converse. Sie wusste nicht so recht, wie sie diese Bewegungen deuten sollte. Als das Streicheln hartnäckiger wurde, erinnerte sie sich an die Worte ihrer Freundin Julia. Die dunklen Schatten in dem wuchtigen Offzium ve r bargen ihre Gesichtsröte. Die zarten Bewegungen der Nonne ließen durchaus einen wohligen Schauer auf ihrer Haut zurück. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. In den erotischen We l lenschlag, der sich ihres Körpers bemächtigte, mischte sich die Kälte der Angst vor einer unw i derruflichen Abhängigkeit.
Caterina zog ihre Arme langsam zurück. Die Finger der Nonne glitten ein letztes Mal über die empfindsamen Innenseiten ihrer Unterarme und blieben einsam und verweigert auf dem Schreibtisch liegen. Die Priora schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. Caterina erhob sich und verneigte sich. Sie wollte sich zurückziehen. Mit einer Handbewegung befahl ihr die Priora sich wieder zu setzen.
"Converse, Caterina Picchena", begann sie aufs Neue . "Ihr habt Besuch. Bereitet euch auf den Empfang vor."
Mattea erhob sich, ging langsam um den schweren Eichentisch herum. Beim Vorbeigehen legte sie ihre linke Hand auf die Schulter der Converse und ließ sie einen Wimpernschlag zu lange darauf liegen. Caterina entzog sich langsam der Hand. Die Priora verweilte noch einen Auge n blick. Dann ging sie schnellen Schrittes aus ihrer Zelle und schloss die Tür hinter sich. Das Herz Caterinas schlug schneller. Was wollte diese Frau von ihr? Sie würde sich in Zukunft mehr in Acht nehmen müssen. Mit dem Rücken zur Tür schaute sie auf das gegenüberliegende Fenster. Als sich die Tür wieder schloss , fühlte sie einen durchdringenden Blick auf ihren Schultern. Der Besucher war hinter ihr stehen geblieben. Er wartete offensichtlich geduldig, bis sie sich umg e dreht hatte.
Eine schauerliche Kälte zog durch den Raum. Ihre Haut spannte sich. Die Nackenhaare sträu b ten sich unwillkürlich.
"Warum kommt ihr nicht näher, Eminenz ?“
Kardinal Giancarlo trat langsam näher, ging um den Tisch herum und blieb hinter der schweren Eichenplatte
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