Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

alles das entdeckte, merkte ich plötzlich, dass ich in einem früheren Leben vor unzähligen Jahren schon einmal gelebt hatte und dass ich nun aufgrund von Fehlern und Sünden in jenem Leben auf ein kümmerliches Existenzniveau herabgestoßen worden war, und es war mein Karma, in Amerika geboren zu sein, wo niemand was vom Leben hat oder an irgendetwas glaubt und schon gar nicht an die Freiheit. Darum habe ich auch immer mit Freiheitsbewegungen sympathisiert, etwa mit dem Anarchismus im Nordwesten, mit den alten Helden des Everett-Gemetzels und so weiter …» und dann endete es mit langen ernsthaften Diskussionen über all diese Themen, und schließlich zog Princess sich wieder an und radelte mit Japhy nach Hause, und Alvah und ich saßen da und sahen uns im roten Dämmerlicht an.
    «Du kannst sagen, was du willst, Ray, aber Japhy ist wirklich der Größte. Er ist wirklich der wildeste verrückteste stärkste Typ, der uns je über den Weg gelaufen ist. Und weißt du, worauf ich vor allem stehe? Er ist der große Held der Westküste. Bist du dir darüber im Klaren, dass ich nun zwei Jahre hier draußen bin und noch keinen Menschen kennengelernt hatte, mit dem bekannt zu sein sich wirklich lohnte und der einen wahrhaft erleuchteten Verstand besaß, und dass ich die Hoffnung für die Westküste schon aufzugeben begann? Japhy verfügt nicht nur über ein umfangreiches Wissen, er ist nicht nur ein Kenner des Ostens und ein Pound-Anhänger, ein großer Peyotelesser und ein Schwärmer, der Visionen hat, ein Bergsteiger und Wanderer, nein, Japhy Ryder ist der große neue Held der amerikanischen Kultur. Wow!»
    «Er ist verrückt», stimmte ich zu. «Und was ich noch an ihm so gern mag, sind seine ruhigen, traurigen Augenblicke, wenn er fast gar nichts sagt …»
    «Mensch, ich bin gespannt, was einmal aus ihm wird.»
    «Ich denke mir, er wird letzten Endes wie Han Shan allein in den Bergen leben und Gedichte an die Wände von Felsen schreiben oder der Menschenmenge, die draußen vor seiner Höhle wartet, Verse zurufen.»
    «Oder vielleicht geht er auch nach Hollywood und wird ein Filmstar, weißt du, er hat neulich erst davon gesprochen. Er sagte: ‹Weißt du, Alvah, ich habe noch nie daran gedacht, zum Film zu gehen. Weißt du, ich kann alles, aber das habe ich noch nicht versucht›, und ich glaube ihm das. Er kann wirklich alles. Hast du gesehen, wie er und Princess ganz ineinander verschlungen waren?»
    «Na, und ob!» Und später am gleichen Abend, als Alvah schon schlief, setzte ich mich unter den Baum im Garten und sah zu den Sternen empor oder schloss die Augen, um zu meditieren, und versuchte, mich so weit zu beruhigen, dass ich wieder dachte und fühlte wie immer.
    Alvah konnte nicht schlafen und kam heraus und legte sich platt auf den Rücken ins Gras, sah zum Himmel empor und sagte: «Große dampfende Wolken ziehen in der Dunkelheit da oben vorüber; dadurch kommt mir zum Bewusstsein, dass der Planet, auf dem wir leben, wirklich existiert.»
    «Mach die Augen zu, und du wirst noch viel mehr sehen!»
    «Ich habe keine Ahnung, was du mit dem ganzen Kram meinst», sagte er verdrossen. Er war immer sauer, wenn ich meine kleinen Vorträge über die Samadhi-Ekstase hielt. Das ist der Zustand, den man erreicht, wenn man alles zum Stillstand bringt und seinen Verstand ausschaltet und mit geschlossenen Augen tatsächlich so was wie einen ewigen und unübersehbaren Strom elektrischer Kraft sieht, der dahinbraust anstelle all der kläglichen Formen und Gegenstände, die ja sowieso nur in der Vorstellung existieren. Und wenn ihr mir das nicht glaubt, kommt in ein paar Milliarden Jahren wieder und widerlegt mich. Denn was ist die Zeit???
    «Kotzt dich das alberne Herumgesitze unter Bäumen nicht langsam an? Findest du es nicht einfach viel interessanter, wie Japhy zu sein und sich mit Mädchen zu beschäftigen und zu lernen und sich zu amüsieren und wirklich was aufzustellen?»
    «Neee!», sagte ich und meinte es auch so, und ich wusste, dass Japhy meiner Ansicht sein würde. «Japhy tut nichts anderes, als sich im leeren Raum amüsieren.»
    «Das glaube ich nicht.»
    «Ich wette, es stimmt aber. Nächste Woche gehe ich mit ihm Bergsteigen. Dann werde ich es rauskriegen und dir erzählen.»
    «Also», tiefer Seufzer, «wenn du mich fragst, ich bleibe lieber weiter Alvah Goldbook und scheiße auf den ganzen Buddhismus.»
    «Es wird dir eines Tages leidtun. Warum willst du nicht verstehen, was ich dir immer zu erklären