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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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mit Wein und Mädchen, und zum Schluss sprang alles aus dem Fenster, und wir Studenten machten mit unserem Buhei die ganze Stadt wahnsinnig.»
    «Ja, er ist schon merkwürdig», sagte Alvah und biss sich in einem Anfall von Bewunderung auf die Lippen, und Alvah selbst war in diesem Augenblick unserem sonderbaren leise-lauten Freund wie aus dem Gesicht geschnitten. Wir kamen wieder durch die kleine Tür rein. Japhy saß mit gekreuzten Beinen da und sah von einem Buch hoch. Diesmal waren es amerikanische Gedichte. Er hatte die Brille auf und sagte nichts als «Ah» in einem seltsam kultivierten Ton. Wir zogen uns die Schuhe aus und gingen barfuß über die kurzen anderthalb Meter Stroh, um uns neben ihn zu setzen, aber ich war als Letzter mit dem Schuheausziehen fertig und hatte die Riesenflasche in der Hand, drehte mich herum, um sie vom anderen Ende des Zimmers her Japhy zu zeigen, und da kam Japhy ganz plötzlich aus seiner kreuzbeinigen Stellung hoch, brüllte laut «Jaaa» und sprang in die Luft und quer über den Raum auf mich los, landete in einer Fechtpose bei meinen Füßen und hatte plötzlich einen Dolch in der Hand, dessen Spitze das Glas der Flasche gerade eben noch mit einem leisen, aber deutlichen Klick berührte. Es war der erstaunlichste Sprung, den ich je in meinem Leben gesehen habe, wenn man von albernen Akrobaten absieht, fast wie eine Bergziege, und wie sich später rausstellte, war er das ja auch. Auch erinnerte es mich an japanische Samurais – der gellende Ruf, der Sprung, plötzlich die Pose, der Ausdruck komischer Wut in seinem Gesicht, die hervorquellenden Augen und die breite lustige Grimasse, die er mir schnitt. Ich hatte das Gefühl, in Wirklichkeit sollte das Ganze ausdrücken, wie wenig es ihm passte, dass wir ihn aus seinen Studien herausgerissen hatten, und er war sogar auf den Wein selbst böse, der ihn betrunken machen und an diesem Abend von der geplanten Lektüre abhalten würde. Aber ohne weiter herumzumosern, entkorkte er selbst die Flasche, nahm einen großen Schluck, und wir alle saßen mit gekreuzten Beinen da und schrien uns vier Stunden lang Neuigkeiten ins Gesicht. Eine unheimlich vergnügte Nacht. Das ging dann etwa so:
    Japhy: «Na, Coughlin, du alter Scheißkerl, was machst du denn so?»
    Coughlin: «Nichts.»
    Alvah: «Was stehen denn hier für komische Bücher rum. Hm, Pound! Stehst du auf Pound?»
    Japhy: «Wenn man davon absieht, dass er bekanntlich hin und wieder alles durcheinanderkriegt und Li Po ohne mit der Wimper zu zucken bei seinem japanischen Namen nennt, ist der alte Knabe schon verdammt in Ordnung. Ehrlich gesagt, er ist mein Lieblingsdichter.»
    Ray: «Pound? Wer hat denn schon Lust, sich diesen anmaßenden Spinner als Lieblingsdichter auszusuchen?»
    Japhy: «Trink lieber noch ’n Schluck Wein, Smith. Du redest Unsinn. Wer ist dein Lieblingsdichter, Alvah?»
    Ray: «Warum fragt mich denn keiner nach meinem Lieblingsdichter? Ich verstehe mehr von Dichtung als ihr alle zusammen.»
    Japhy: «Stimmt das?»
    Alvah: «Kann schon sein. Hast du Rays neuen Gedichtband noch nicht gesehen? Hat er vor kurzem in Mexiko geschrieben! Das Rad der bebenden fleischlichen Schöpfung dreht sich im Leeren, speit Macken aus, Stachelschweine, Elefanten, Leute, Narren, Sternenstaub, Unsinn …»
    Ray: «Das stimmt ja gar nicht!»
    Japhy: «Weil wir gerade von Fleisch reden: Habt ihr schon das neue Gedicht von …»
    Und so weiter und so weiter, und schließlich löste sich dann alles auf in eine wilde Redeorgie und Schreiborgie und am Schluss Singorgie mit Leuten, die sich vor Lachen auf dem Boden wälzten, und als alles vorbei war, gingen Alvah, Coughlin und ich torkelnd die ruhige Straße zum College rauf, Arm in Arm, und sangen «Eli, Eli» in voller Lautstärke und ließen die große leere Weinflasche mit einem lauten Krach vor unseren Füßen fallen, und sie zersprang, und Japhy lachte von seiner kleinen Tür herüber. Aber durch uns war er an dem Abend nicht zum Lesen und Lernen gekommen, und ich hatte deshalb ein schlechtes Gewissen bis zum nächsten Abend, als er plötzlich mit einem süßen kleinen Mädchen in unserer Hütte erschien und reinkam und ihr sagte, sie sollte sich ausziehen, was sie auch sofort tat.

5. Kapitel
    Das passte genau zu Japhys Theorien über Frauen und die Liebe. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass an dem Tag, als ihn am Spätnachmittag der Felskünstler besucht hatte, unmittelbar darauf ein Mädchen gekommen war, eine Blondine in

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