Ganz oder gar nicht (German Edition)
Anfragen fürs Fernsehen erreichen mich täglich. Wenn ich von fünfzig Einladungen eine annehme, ist das schon viel. Denn: Brauchen wir diese ganzen Fußballprofessoren? Ich möchte auf der Trainerbank Ergebnisse erzielen und nicht in einem Studio über Kollegen ablästern.
Die Experteneinsätze bei Premiere für die Bundesliga oder bei Al Dschasira für die WM 2010 haben mich einfach gereizt. Was mich dabei allerdings am meisten störte, war die übertriebene Pünktlichkeit. Mein Premiere-Job ging samstags um 15 Uhr los, ich sollte aber schon um eins, halb zwei da auftauchen. Wofür? Was soll ich da so lange rumsitzen? Das ist für mich verlorene Zeit. Ein Mikrofon anzustecken, dauert eine Minute, ein bisschen abzupudern, dauert eine Minute. Dann einmal mit der Hand durchs Haar, fertig. Sieben, acht Minuten vor Beginn der Sendung bin ich dort aufgetaucht. Nach einigen Wochen haben sie begriffen, dass sie sich auf mich verlassen können.
Eine Ausnahme von der medialen Zurückhaltung habe ich auch 2012 gemacht, als es darum ging, eine Reality-Doku für den Sender Vox zu drehen. »Wie inkonsequent«, mögen Spötter wieder meinen. Nein, das Projekt sagte ich nach längerem Abwägen aus zwei Gründen zu: erstens, weil ich aktiv sein und bestimmen konnte, was darin passiert und was nicht, was gezeigt wird und was nicht. Das kann ich bei einem Studiobesuch schlecht machen. Und weil ich mir – zweitens – erhoffte, dass ich über diesen Weg zeigen kann, wie ich wirklich bin. Ich sah darin eine Möglichkeit, einem falschen Image entgegenzuwirken.
BERTI UND DER MITTLERE RING
Nach all den Eskapaden mit Jürgen Klinsmann war ich davon ausgegangen, dass mit dem letzten Spiel im Jahr 1995 meine Nationalmannschaftskarriere beendet sein würde. Ich sollte mich täuschen. Für die Bayern hatte ich 1997/98 eine Riesensaison gespielt. Gleichzeitig verletzte sich Matthias Sammer nachhaltig am Knie, und auch Olaf Thon war angeschlagen. Weil die WM in Frankreich vor der Tür stand, wurde ich ständig von Journalisten darauf angesprochen, ob das denn nicht wieder eine Gelegenheit für mich sein würde. Nationalelf? Berti? Ich? Da wusste ich nun wirklich nichts drauf zu antworten. Zwei Monate vor der WM wurde ich nach einem Bayern-Training mal wieder gefragt. Da platzte es aus mir heraus: »Jetzt lasst mich bitte endlich mit dem Thema in Ruhe! Ich will darüber nicht mehr sprechen! Das ist vorbei für mich!«
Ich flüchtete mich in mein Auto. Tür zu, bloß weg. Ich fuhr über den Mittleren Ring in München, um nach Hause zu kommen, als mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss: »Warum rufst du Berti Vogts eigentlich nicht mal an!« Ich lenkte meinen Wagen rechts ran, weil ich mich konzentrieren wollte. Ich hatte lange nicht mit Berti Vogts gesprochen. Was sollte diese spontane Eingebung? Eine fixe Idee? Abhaken und weiterfahren? Oder doch anrufen? Ich nahm mein Handy, wählte seine Nummer und sagte: »Trainer, mir geht hier gerade etwas auf den Zeiger. Sammer ist verletzt, Thon ist angeschlagen, und ich habe eine super Saison gespielt. Ständig werde ich darauf angesprochen, warum ich angesichts dieser Personallage nicht in die Nationalelf zurückkehre. Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll. Jetzt frage ich Sie: Wie schätzen Sie die Situation ein?« Pause. Dann meinte Vogts in etwa: »Hättest du denn wieder Lust, in der Nationalelf zu spielen?« »Ja, natürlich«, kam es aus mir heraus. »Es wäre für mich das Größte, die fünfte Weltmeisterschaft zu spielen.« Er: »Sag den Leuten mal gar nichts. Ich werde mich in den nächsten Tagen bei dir melden.« Am nächsten Tag sprang mein Handy genau zu dem Zeitpunkt an, als ich wieder über den Mittleren Ring fuhr. »Berti Vogts« leuchtete auf dem Display auf. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich aus, ein Gefühl, das schwankte zwischen erstem Date und der Rückgabe einer Klassenarbeit. Ich ließ einmal mehr klingeln als nötig, ging ran und wurde mit den Worten begrüßt: »Welcome back!« »Meinen Sie das ernst?« »Ja, herzlich willkommen.« Keine Ahnung, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat. Das würde ich wirklich zu gerne mal wissen.
Nun hatte sich die Hierarchie in der Nationalelf inzwischen merklich verändert, und ich war als Rekordnationalspieler irgendwo ziemlich weit unten. Psychologisch ist das nicht gut. Meine Meinung ist auch hier: ganz oder gar nicht. Entweder ich vertraue dem Rückkehrer, oder ich lasse ihn zu Hause. Ich hätte doch
Weitere Kostenlose Bücher