Ganz oder gar nicht (German Edition)
Kontakte, die er zu mir suchte, fanden ausschließlich nach Niederlagen statt. Dann bestellte er mich montagmorgens in ein Café gegenüber dem Parlament, um mir Fragen zu stellen. Fünf- oder sechsmal war das der Fall. Bei Siegen hörte ich von Herrn Edlinger nichts.
Mein Verhältnis zu den Rapid-Fans hatte sich inzwischen um 180 Grad gedreht. Anfangs war ich für sie das »rote Bayern-Schwein«. Nachdem ich Fanclub-Vertreter über den Verein zu einem Abendessen einladen ließ und ich sie davon überzeugen konnte, mit Haut und Haaren für diesen Club einzustehen, stieg mein Ansehen derart, dass bei meinem letzten Spiel, das wir 3:0 gewannen, alle fünf Minuten Matthäus-Sprechchöre zu hören waren. Nach dem Sieg wurde ich beurlaubt, nach nur neun Monaten. Ich hätte dem Verein die schlechteste Platzierung in der Geschichte gebracht, hieß es offiziell. Ein Witz, wenn man genauer hinschaut. In der folgenden Nacht bemühte sich noch der Finanzvorstand des Hauptsponsors zu mir nach Hause und meinte, dass man meine Demission nicht zulassen würde. Vergeblich.
Daraufhin äußerte ich mich in einem Interview über meine Entlassung. Der Präsident schlug verbal zurück, stempelte mich als viel zu teure Fehlinvestition ab und berief sich auf angebliche vereinsschädigende Aussagen, um meine Abfindung zu umgehen.
Natürlich hätte auch ich mir gewünscht, die 27 Einsätze mit mehr als acht Siegen und acht Unentschieden abzuschließen. Und die Tendenz meines Zweijahresplans stimmte ja. Ich begann mitten in der Vorrunde und konnte die Mannschaft erst in der Winterpause so richtig kennenlernen. Seitdem ging es bergauf, in der Rückrundentabelle waren wir Vierter. Die Mannschaft und ich waren auf dem richtigen Weg, das lasse ich mir nicht kleinreden. In der Rückrunde hatten wir nur drei Punkte weniger als der spätere Meister Wacker Innsbruck unter seinem Trainer Jogi Löw. Zwei Jahre später wurde der neue Trainer Peppi Hickersberger mit dem, was aus meiner jungen Mannschaft geworden war, Meister und durfte in der Champions League gegen Bayern München antreten. Ich konnte mich darüber freuen, weil ich wusste, dass ich dafür das Fundament gelegt hatte.
Welche Fehler hatte ich gemacht? Ein Anfängerfehler war sicherlich, dass ich noch zu sehr als Spieler gedacht, zu oft mit der Mannschaft trainiert und dafür zu wenig beobachtet habe. Ich war noch zu nah dran. Das habe ich bei dieser Trainerstation gelernt. In der Folge achtete ich darauf, mehr Distanz aufzubauen.
Außerdem merkte ich zu spät, dass ich auf eine verschworene Gemeinschaft getroffen war. Gerade unter den Masseuren gab es einen, der hinterrücks das Messer wetzte und die Spieler beeinflusste. Vielleicht erwarteten die Betreuer mehr Anerkennung, vielleicht hätte ich häufiger im Massageraum sein müssen. Vielleicht hätte ich auch die Masseure mal zum Essen einladen sollen. Ich musste erkennen, dass die Zufriedenheit der Mannschaft hinter der Mannschaft genauso wichtig ist.
EINMAL CHAMPIONS LEAGUE UND ZURÜCK
Mein zweites Engagement als Trainer sollte mich noch ein Stück tiefer in den Osten Europas führen – auf den Balkan. Belgrad war nicht München und erst recht nicht Paris. Belgrad war eine zerbombte Stadt. Die Schäden, die die NATO-Angriffe hinterlassen hatten, waren auch 2002, vier Jahre nach dem Ende des Kosovokriegs, nicht zu übersehen. Abgesehen davon stieß ich in Serbien auf Szenen, die ich in Deutschland seit den Siebzigern nicht mehr erlebt hatte: uralte Autos, Dreck in den Straßen, schlechte Luft. Viele Zeichen deuteten aber schon auf einen Umbruch dieser Metropole hin; man richtete sich nach Westen aus, von der Restaurantkultur bis hin zu den Modeboutiquen.
Ich war gerade mal zwei Monate in der Stadt, da wurde Ministerpräsident Zoran Đin 6 ić, der mit dem alten Verbrecherregime aufräumen und Slobodan Milošević nach Den Haag ausliefern wollte, von einem Scharfschützen erschossen. Der Ausnahmezustand folgte, Tausende Verdächtige wurden festgenommen. Mehrfach wurde auch ich angehalten, weil ich den gleichen silbernen Audi fuhr wie die vermeintlichen Täter.
Geschockt hat mich gar nichts, überrascht vielleicht schon. Ich habe bestimmte Dinge erwartet, weil ich ja nicht blind durch die Welt laufe. Wir jammern in Deutschland immer gern, aber im direkten Vergleich kann man nur feststellen, dass wir auf Fünfsterneniveau jammern. Ich stieß in Belgrad zwar nicht auf die westeuropäische Lebensqualität; die serbische
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