Ganz oder gar nicht (German Edition)
bitte in einem sozialen Umfeld, in dem man sich aufgehoben und geachtet fühlt. Vor und nach dem Training stand meine Tür immer offen. Ich stehe meinem Arbeitgeber 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Wenn mich ein Spieler um zwei Uhr nachts wegen irgendeines Problems angerufen hätte, hätte ich ihm nicht böse sein können. Bei Partizan Belgrad hatte ich zum Schluss sogar das Gefühl, dass ich von den Spielern mehr wusste als ihre eigenen Frauen. Ich wusste wirklich alles – und nicht nur über ihre Beichten vom Fremdgehen. Die Spieler hatten einfach ein Riesenvertrauen, weil sie wussten, dass sie es mit einer Respektsperson zu tun hatten, die sportliche Erfahrung und Erfolge vorzuweisen, aber auch als Mensch vieles erlebt hat.
AUFTAKT IN AUSTRIA
Ich dachte zwar schon als Spieler wie ein Trainer, doch in Wien erstmals auf der anderen Seite zu stehen, kam mir wie absolutes Neuland vor. Ich freute mich sehr, mein Debüt bei einem deutschsprachigen Traditionsclub geben zu dürfen. Eingefädelt wurde der Job von dem später in Ungnade gefallenen Geschäftspartner, mit dem ich damals noch meine Sportagentur betrieb. Leider stand Rapid Wien damals das Wasser bis zum Hals, der Club war bankrott. Die Bank Austria, der Hauptsponsor, installierte mit Werner Kuhn einen Finanzdirektor aus ihren Reihen im Verein. Über die Bank Austria lief auch meine Entlohnung.
Nun also der Fußballspieler Lothar Matthäus als Fußballtrainer im Land der Skifahrer. Plötzlich musste ich Ansprachen halten, Trainingseinheiten leiten, für eine harmonische Atmosphäre sorgen, Spielern sagen, dass sie spielen oder nicht spielen, musste Familienvätern beibringen, dass sie nicht mehr gebraucht werden und sich einen neuen Verein suchen können. Wir mussten aufgrund der schwierigen finanziellen Situation viel Geld einsparen und einen Schnitt machen. Teure Spieler wurden aussortiert, weil wir die Gehälter sowie die Auflauf- und Punktprämien nicht mehr zahlen konnten.
Individuelle Punktprämien sind meiner Meinung nach sowieso ein Hohn. Da schießt einer mit einer geringen Punktprämie von vielleicht 500 Euro die Mannschaft mit drei Toren zum Sieg und bekommt 1500 Euro, während ein anderer, der kein Tor erzielte, aber eine Punktprämie von 5 000 Euro ausgehandelt hat, folglich 15000 Euro erhält. Diese Beträge waren sämtlich individuell ausgehandelt worden. Zu meiner Zeit als Aktiver hat es lohnsteigernde Punktprämien auch schon gegeben, aber da hat jeder Spieler das Gleiche bekommen. Die Prämien wurden vom Mannschaftsrat jedes Jahr direkt mit Uli Hoeneß ausgehandelt. So sollte es im Teamsport auch heute noch üblich sein.
Viele dieser Verträge waren so üppig gestaltet, dass die Spieler, die wir gerne abgegeben hätten, bis auf einen in der Winterpause keinen neuen Verein fanden. Und so mussten wir sie wohl oder übel bis zum Ende der Saison mit durchziehen, obwohl wir schon vor dem Start der Rückrunde jüngere, billigere und bessere Spieler in die Mannschaft integrieren konnten.
Mir war die Schwere der Aufgabe durchaus bewusst. Als ich kam, hatte Rapid Wien einen Nationalspieler im Kader. Aber als ich den Verein verließ, waren es sechs. Ich nahm viele junge Spieler in die Verantwortung und konnte in recht kurzer Zeit den Grundstein für spätere Erfolge setzen. Das hat mich schon stolz gemacht. Rudolf Edlinger – kurz nach meiner Verpflichtung war er zum neuen Präsidenten gewählt worden – war allerdings mit der behutsamen, geduldigen Entwicklung nicht einverstanden. Er war einmal Finanzminister gewesen, und als Politikernatur wollte er von einem auf den anderen Tag große Erfolge sehen. Das funktioniert im Fußball aber nicht, wenn man finanziell noch nicht einmal mittelmäßig ausgestattet ist. Ich vermute auch, dass er sich übergangen fühlte, da der Sponsor meine Verpflichtung nicht mit ihm abgesprochen hatte. Er wollte wohl lieber einen österreichischen Trainer im Amt sehen.
Hinzu kam eine Meinungsverschiedenheit bezüglich eines Transfers. Edlinger hatte vor, Andreas Herzog aus Bremen nach Wien und damit zurück nach Hause zu holen. Bei Werder saß der österreichische Nationalspieler nur noch auf der Bank. Ich war von Anfang an gegen diesen Wechsel, der weder unserem kostenbewussten Finanzkonzept noch der Verjüngung des Teams entsprochen hätte. Außerdem hatte ich mit Andreas Ivancic bereits das Jahrhunderttalent des österreichischen Fußballs auf der gleichen Position. Edlinger setzte sich durch.
Die
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