Ganz oder gar nicht (German Edition)
Job.
Was sollte ich tun? Ich rief Franz Beckenbauer tatsächlich an. Allerdings nicht, um Ribbeck aus dem Amt zu heben, sondern um ihn in einer Art Hilferuf um seine Meinung zu dieser verfahrenen Situation zu bitten. Ich erklärte ihm, was für ein Irrsinn sich hier auf Mallorca abspielte. Franz schlug vor, mich mit Ribbeck und den Verschwörern an einen Tisch zu setzen und die Sache zu besprechen. Ich habe daraufhin den Jungs gesagt, dass sie sich ihre Idee abschminken könnten und wir die Probleme wie Männer klären würden – auf dem grünen Rasen. Der Putsch war geplatzt. Ribbeck hat nie von der geplanten Meuterei erfahren.
Hamann & Co. mussten sich fügen und das Training weiter so nehmen, wie es war. Währenddessen verschwanden meine Beschwerden im Oberschenkel, aber ich erlangte nicht die Fitness, die ich gebraucht hätte, um die Mannschaft in Holland zu führen. Außerdem stellte sich nicht wieder die Hierarchie ein, die jede gute Mannschaft braucht, um erfolgreich zu sein. Der Zusammenhalt fehlte. Der Respekt fehlte. Das Vertrauen fehlte. Wenn ich etwas als Mannschaftsspieler gelernt habe, dann, dass man demjenigen folgen muss, der das Kommando hat. Auch wenn man ihn nicht leiden kann oder mit der Strategie nicht einverstanden ist. Ein Team muss einen Weg gehen. Nein, diese EM konnte nur in die Hose gehen.
SPIELT SO LANGE, WIE ES GEHT!
Wir schossen sage und schreibe nur ein Tor. Mehmet Scholl gelang das 1:1 im ersten Spiel gegen Rumänien. Danach verloren wir 1:0 gegen England. Im letzten Länderspiel meiner Karriere gegen Portugal gingen wir mit 0:3 unter.
Ich wurde oft gefragt, welche Bedeutung dieses 0:3 für mich hat, ob es wie ein Makel in meiner sportlichen Biografie hängt. Nein, überhaupt nicht. Man kann sich nicht immer so verabschieden, wie man gerne möchte. Es ist auch ein Schmarrn, zu sagen, dass man auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufhören sollte. Dann hätte ich ja 1991 den Betrieb einstellen müssen und Boris Becker im Alter von 17 oder 18. Man sollte spielen, solange man eine gewisse Leistung abrufen kann und es noch Spaß macht. Schon Franz Beckenbauer hatte mal die Devise ausgegeben: »Spielt so lange, wie es geht!« Körperlich hätte ich noch einige Jahre auf hohem Niveau geschafft. Ich habe nie in Altersgrenzen gelebt oder gedacht. Dennoch gab es die, die meinten, ich sei zu alt gewesen für diese EM. Was für ein Schwachsinn. Das lasse ich nicht gelten. Wenige Monate zuvor habe ich mit dem FC Bayern zwei Mal in der Champions League Real Madrid besiegt und wurde noch 1999 zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt. Nein, das sind Phantomargumente. Wenn man nicht als Mannschaft auftritt, kann man keine EM gewinnen. Das war es. Punkt.
Jetzt könnte man natürlich vermuten, dass ich aufgrund der Zustände schon von Anfang an geahnt habe, dass dieses Turnier nicht zu gewinnen ist. Auch das ist nicht der Fall. Hofft man nicht immer auf einen Wendepunkt? Das kann ein einziges Spiel sein, ein einziger Sieg, eine einzige Niederlage. Bei der WM 1974 war es das 0:1 gegen die DDR, das die Westdeutschen wachrüttelte. Bei der WM 1982 war es die skandalöse Vorrunde, die die Mannschaft endlich zusammenschweißte. Hätten wir 2000 mit einem furiosen Auftaktsieg gegen Rumänien angefangen, wäre der ganze Ballast vielleicht weggefegt worden. Aber so kam es nicht. Im Gegenteil. Im letzten Vorrundenspiel gegen Portugal haben sich die Spieler nur noch gegenseitig angeätzt. Thomas Linke beispielsweise, dessen Gegenspieler Sérgio Conceição alle drei Tore erzielte, kam auf dem Platz zu mir und meinte, ich solle ihn »am Arsch lecken«. Fühlte er sich von mir nicht ausreichend unterstützt? Ich weiß nicht mehr, um was genau es gegangen war. Aber diese Wortwahl in einem Spiel – das ist ein Tabu.
Die EM 2000 war eine große menschliche Enttäuschung. Spieler, die mich vorher noch nachts anriefen, um mich als Kapitän anzuflehen, ich möge mich doch bitte beim Bundestrainer für sie einsetzen, ließen jeden Respekt, jede Kameradschaft vermissen. Diese Erfahrung hätte ich gerne getauscht gegen die Momente, die ich 1990 in Rom erlebt hatte. Wiederholt sich Geschichte? Im Fußball eher nicht.
Nach meinem Abschied vom aktiven Fußball lief ich nie Gefahr, in ein schwarzes Loch zu fallen. Ich war einfach nur dankbar. Ich habe es genossen, 21 Jahre auf dem Fußballplatz gestanden zu haben. Und ich habe 21 Jahre das Drumherum genossen. Die Siege habe ich aufgesaugt, aus den Niederlagen
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