Ganz oder gar nicht (German Edition)
Mentalität, dieses Offene, dieses Positive, hat mir jedoch besser gefallen als so manch anderes Verhalten.
Man muss wissen: Die Serben sind Fußballfans. Da funktionierte schon viel über meinen Namen und meine Erfolge. Man akzeptierte mit Bewunderung, dass der, der sie bei der WM 1990 abgeschossen hat, der, der Partizan Belgrad mit Inter Mailand aus dem UEFA-Cup geschossen hat, auf einmal im Belgrader Trainingsanzug auf dem Platz stand und einer von ihnen war. Miki Stevic, serbischer Bundesligaspieler bei Dynamo Dresden, 1860 München und Borussia Dortmund, hatte für den entscheidenden Kontakt gesorgt. Er war der Schwiegersohn des Sportdirektors von Partizan und in dessen Auftrag auf mich zugekommen. Meine Mission: Ich sollte den serbischen Dauer-Ersten endlich auch in internationalen Gefilden zu einer festen Größe machen.
Schön und gut. Nur ist der Serbe aber auch jemand, der es mit möglichst wenig Aufwand ganz nach oben schaffen will. Ich habe es innerhalb kurzer Zeit hingekriegt, meinen Spielern klarzumachen, dass wir im Leben nichts geschenkt bekommen, dass wir jeden Tag hart arbeiten müssen, um das, was in uns steckt, zu nutzen. »Nur so können wir das, woran heute keiner glaubt, erreichen«, appellierte ich an ihren Enthusiasmus. »Euer Talent, euer Wille, meine Erfahrung, meine Disziplin, meine Mentalität – wenn wir diese Zutaten zu einem Cocktail zusammenbringen, dann schmeckt der Cocktail nach Erfolg.« Genau das waren meine Worte. »Alles, was ich weitergebe, habe ich am eigenen Leib erlebt«, sagte ich ihnen.
Wie zum Beispiel das ewige Trainieren von Linksschüssen. Bevor ich 1988 in Italien anfing, war ich ein reiner Rechtsfuß und hatte noch nie ein Tor mit links geschossen. Trapattoni sagte: »Ascolta, Lothar, hör’ zu, du hast zwei Füße, also solltest du auch mit beiden schießen können. Ich zeig’ dir ein paar Übungen.« Durch diese Übungen von Trapattoni bekam ich erst die Sicherheit, die mich dazu ermutigte und befähigte, bei der WM 1990 gegen die Jugoslawen das 1:0 mit dem linken Fuß zu schießen. Genau diesen Laufweg – von rechts kommend nach innen ziehen, um dann mit links abzuschließen – hatte ich hundertfach trainiert, auch oft alleine nach dem Training. Wegen solcher Geschichten haben mir die Spieler vertraut.
Sicherlich führten auch die frühen Erfolge mit Partizan Belgrad dazu, dass mir schnell breite Anerkennung entgegenschlug. Als ich kam, hatte die Mannschaft sechs Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten. Ich machte den Spielern klar, dass ich diese sechs Punkte nicht halten, sondern weiterhin jedes Spiel gewinnen will, um den Vorsprung zu vergrößern. Mit der Mannschaft, die ich noch vor einem Jahr mit Rapid Wien im UEFA-Cup rausgeworfen hatte, legten wir einen selten da gewesenen Durchmarsch hin. Partizan wurde Meister mit einer Tordifferenz von +52 und einem 19-Punkte-Vorsprung vor Roter Stern Belgrad.
Mein erstes Spiel – ich war mitten in der Rückrunde gekommen – führte mich zu Hajduk Kula, achtzig Kilometer entfernt Richtung Bosnien gelegen. Es war eiskalt, Heizungen gab es nicht. Die Toiletten waren in die Kabinen integriert, sodass die gesamte Mannschaft jede Regung mitbekam. Es war einfach kein Geld da. Es war ein zerbombtes Land, man hat nicht in den Fußball investiert. Das Spiel ging 1:0 für uns aus, die Meisterschaft geriet zum Selbstläufer. In dieser Situation sagte ich meinen Jungs, dass es jetzt darum gehen muss, das zu erreichen, was sie vor einem Jahr gegen Rapid Wien nicht geschafft hatten, nämlich im Europa-Pokal weiterzukommen. An die Champions League hat dort sowieso keiner geglaubt.
Wir legten einen wahren Siegeszug hin, der allerdings durch eine ganz besondere Niederlage getrübt wurde. Wir hatten uns konzentriert auf das Spiel bei einem Abstiegskandidaten am Stadtrand von Belgrad vorbereitet. Während der gesamten neunzig Minuten merkte ich, dass mit meiner Mannschaft irgendetwas nicht stimmt. Meine Jungs ließen ihr druckvolles Spiel vermissen, sie gingen nicht mehr richtig in die Zweikämpfe. Wir hatten die besseren Spieler auf dem Feld, aber verloren 0:1. Stocksauer ging ich in die Kabine und hielt eine meiner lautesten Ansprachen. Auf Deutsch. Und Marco – Sohn eines ehemaligen Spielers von Hannover 96, damals mein Dolmetscher und bis heute ein guter Freund – stand daneben und flippte auf Serbisch aus. Das sollte er. Die Emotionen musste er immer gleich mit übersetzen. Marco war für mich wie ein Sechser
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