Ganz oder gar nicht (German Edition)
im Lotto, er wich mir nie von der Seite und war mein sprachlicher Schatten.
Auf der Rückfahrt in unser Trainingszentrum erzählte mir mein Torwarttrainer, dass die Wetten auf dieses Spiel zwei Stunden vor Anstoß gestoppt worden seien, weil man irgendetwas gerochen hätte. Ich wurde stutzig. Zurück im Trainingszentrum – die meisten Spieler hatten schon geduscht und gegessen und waren bereits auf dem Weg nach Hause – saß ich noch mit einem Spieler, mit dem ich immer offen reden konnte, in der Kabine. »Kannst du mir mal erklären, was heute los war?«, fragte ich ihn. »Dafür müssen Sie eine Geschichte wissen«, sagte er. »Erzählst du sie mir?« »Vor zwei Jahren haben wir beim Spiel gegen dieselbe Mannschaft die Punkte gebraucht, um Meister zu werden. Für die ging es um nichts mehr, sie ließen uns gewinnen. Jetzt stehen die vor dem Abstieg und brauchten diese drei Punkte genauso. Wir haben uns heute für ihr Geschenk mit unserem Geschenk revanchiert. Das Spiel wurde nicht verschoben. Es war ein Freundschaftsdienst in stiller Absprache.« Ich sagte zu ihm nicht ohne Sarkasmus: »Weißt du was, sagt mir doch bitte in Zukunft vorher Bescheid, wenn wir verlieren. Dann muss ich mich nicht so aufregen und einen Herzinfarkt riskieren.«
Meine Neugier war geweckt. Der Spieler verriet mir die Partie, in der die Sache ihren Anfang nahm. Ich ließ mir eine Kassette kommen, schob sie in den Videorekorder und lehnte mich zurück. Ich sah, wie Partizan bis acht Minuten vor Schluss mit einem Tor Unterschied zurücklag – mit nur noch neun Mann auf dem Feld. Trotz Unterzahl drehten sie in den letzten Minuten mit zwei Toren das Spiel. Der entscheidende Treffer gelang einem Stürmer, der sich ganz allein gegen sechs Verteidiger durchsetzen konnte. Plötzlich wurde mir klar, warum wir dieses Spiel verloren hatten.
Das ist Serbien. Ich gehe davon aus, dass in vielen Ländern der Welt Vereine derartige Absprachen treffen. Ich habe das nicht schriftlich, aber für Serbien wurde es mir versichert. »Du gewinnst dein Heimspiel, ich gewinne mein Heimspiel. So hat jeder schon mal drei Punkte. Wenn man diese Absprache mit den sechs, sieben Mannschaften trifft, die keine Ambitionen haben, Meister zu werden, sondern nur die Klasse halten wollen, um verlässliche Werbebudgets einzustreichen, hat man schon mal 21 Punkte auf dem Konto.« Ich gebe dir heute ein Stück Brot, weil du keines hast. Übermorgen gibst du mir ein Stück Brot, wenn ich hungrig bin. Lieber mit Sicherheit Elfter, als mit Risiko Achter.
Trotz alledem: Am Saisonende belegten wir den ersten Platz und schafften es damit in die Champions-League-Qualifikation. Im ersten Kräftemessen trafen wir auf den schwedischen Meister Djurgårdens, der mitten in der Saison stand und sich nicht wie wir per Trainingslager vorbereiten musste. Wir erreichten zu Hause ein 1:1. Schlechte Voraussetzungen fürs Rückspiel, denn die Serben litten unter einer chronischen Auswärtsschwäche. Im eigenen Stadion bärenstark, machten sie sich auswärts in die Hosen. Für mich war ein Auswärtsspiel eine noch größere Motivation als ein Heimspiel, weil ich die da oben in den Rängen, die gegen mich waren, noch mehr enttäuschen wollte. So habe ich die Mannschaft eingestellt, und wir schafften das erlösende 2:2.
Danach wurden wir gegen Newcastle United gelost, den Dritten der englischen Premier League und mit Nationalspieler Alan Shearer klarer Favorit. Der Pay-TV-Sender Premiere war mir behilflich und zog alle Newcastle-Spiele der letzten Champions-League-Saison auf Kassette. Ich saß tagelang vor dem Fernseher und studierte den Gegner bis in die kleinsten Details. Die Hauptgefahr würde in ihrem schnellen Spiel nach vorne liegen, in den dribbelstarken Spielern und den Standardsituationen. Das war schon beeindruckend.
Unverdient und unglücklich verloren wir prompt unser Heimspiel mit 0:1. Die Jungs waren demoralisiert, aber ich lobte sie, weil sie ein gutes Spiel gemacht hatten. Auf das entscheidende Rückspiel in Newcastle schwor ich die Mannschaft förmlich ein: »Ihr habt nichts zu verlieren! Geht raus, präsentiert euch den 50000 Zuschauern, habt Spaß an diesem fantastischen Publikum! Wenn ihr so gut seid wie im Hinspiel, können wir das Ergebnis drehen!« In der zweiten Halbzeit fiel das verdiente 1:0 für uns. Verlängerung, der Puls ging nach oben. Eine Sensation lag in der Luft. Kein Tor mehr, Elfmeterschießen. Ich erinnerte mich an Jupp Heynckes, der mich 1984 zum
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