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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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Mönchengladbach noch so anstrengen, Rio toppt keiner. Wir waren mitten in diesem 1,6 Kilometer langen Sambadrom, durch das sich stundenlang sämtliche Sambatruppen tanzten, um mit ihrer Choreografie die Meisterschaft zu gewinnen. Auf Einladung des Hauptsponsors des Spektakels, eines Bierproduzenten, konnten wir uns die Show aus einer Loge anschauen, wie ich sie in keinem Fußballstadion gesehen hatte. Friseur, Massage- und Make-up-Salon, Coffee-Shop, Steakhaus, ein Wahnsinn. Und dann diese Frauen, die zu den Rhythmen tanzten. Sie hatten noch weniger an als sonst in Brasilien. Durch Zufall begegnete mir dann auch noch Diego Maradona. Zu meiner Überraschung wurde er gefeiert wie in seiner Heimat. Unter all dem schönen Trubel arbeitete allerdings mein großer Gewissenskonflikt.
    Unmittelbar nach dem Karneval flog Marijana nach Europa zurück und ich nach Curitiba. Mir war klar, dass die nächsten zwei Spiele meine letzten sein würden. Ich lud den Präsidenten zum Diner ins beste Restaurant der Stadt und führte mit ihm im Beisein des Dolmetschers ein sehr offenes Gespräch. Ich sagte ihm, wie zufrieden ich mit dem Verein sei, dass aber eine andere Kraft stärker sei in mir. Die Ehefrau fehlte, die Kinder, die Sprache, das gesamte Umfeld. Alles ganz weit weg. Er als Familienvater hat mich sofort verstanden und meinte, ich solle nach dem nächsten Spiel für fünf Tage nach Europa fliegen und mir klar werden. »Ich hoffe, Herr Matthäus, dass wir uns am nächsten Freitag wiedersehen.« Bei diesem Satz habe ich erst einmal geschluckt. Denn ich wusste, dass meinem Drang stattgegeben wurde. Ich wusste, dass dieser Flug nach Budapest aller Wahrscheinlichkeit nach ein Flug ohne Rückkehr sein würde. Ich schlug die Türen zu.
    Ich packte also wieder meine vier Koffer, sagte sogar meiner Bekanntschaft nichts von meinem Abschied, stieg in den Flieger – und war traurig. Der Abflug verzögerte sich. Zwei Stunden standen wir auf der Startbahn herum. Es gingen mir so viele Gedanken durch den Kopf. Was war richtig, was war falsch? Sollte ich doch meine Ehe beenden? In diesem Moment wusste ich es nicht mehr.
    In Budapest versuchte ich noch einmal, meine Frau umzustimmen. Und sie machte mir ebenso klar, dass es ihr nicht möglich sei, zwei 20-Stunden-Flüge auf sich zu nehmen, um mich zehn Tage pro Monat zu besuchen. Nach zwei Monaten wurde alles, was ausgemacht war, für unmöglich erklärt. Und so veranlasste ich mithilfe von Ertan, meinen Vertrag in beiderseitigem Einvernehmen zu beenden und über den Dolmetscher ausrichten zu lassen, dass es mir unglaublich leid tun würde. Ich würde nicht mehr zurückkehren. Das Gentlemen’s Agreement des Präsidenten hatte Bestand, und ich war frei. Was ich dem Verein hoch anrechne: Das zweite Monatsgehalt hatte man mir noch überwiesen. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet, nachdem ich den Verein so enttäuscht hatte.
    Ja, das war mein größter Fehler. Nicht nur beruflich, sondern generell. Ich hätte nicht sofort meine Ehe beenden müssen, aber ich hätte riskieren sollen, dass diese Ehe Brasilien nicht überlebt.
    Ich bin dem Verein heute noch dankbar. Und ich möchte mich gleichzeitig bei den Verantwortlichen, der Mannschaft und den Fans in Brasilien dafür entschuldigen, dass ich sie im Stich gelassen habe. Ich fühle mich nach wie vor schlecht, wenn ich über dieses Thema rede, schreibe oder nachdenke. Mir kommen die Tränen, es macht mich traurig. Ich bin traurig über die verpasste Chance, einen guten Trainer abzugeben. Ich bin traurig über einen gescheiterten Neuanfang. Und ich bin traurig über mich selbst. Denn eigentlich war ich immer ein Mensch, der vor nichts davongelaufen ist und auf den man sich verlassen konnte.
    Aufgrund dieses nachhaltigen Eindrucks hätte ich große Lust, es bei genau diesem Verein noch einmal zu probieren, um das zurückzugeben, was man mir gegeben hat: Respekt und Herzlichkeit. So einen Präsidenten wünscht man sich, so einen Verein wünscht man sich, solche Spieler wünscht man sich. Es tut mir leid. Ich fühle mich nach wie vor schuldig.
    Die Journalistin von GloboTV wurde übrigens versetzt. In Curitiba hatte sie kein ruhiges Leben mehr. Die Fans sahen in ihr den Grund für meinen Abschied und feindeten sie an. Sie konnte nun wirklich nichts dafür.

WIR VERLIEREN UNS!
    Nach meiner Rückkehr nach Ungarn lebten wir mehr oder weniger glücklich ein weiteres Jahr zusammen. Nach anderthalb Jahren war die Ehe dann kaputt. Marijana würde

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