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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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Kinder, ihre Eltern und ihre Freunde kümmern wollte, schlossen wir den wohl einzig sinnvollen Kompromiss. »Ich kann zwar nicht mitkommen«, sagte sie, »aber ich kann dich jeden Monat zehn bis zwölf Tage besuchen.« Eine Lösung, mit der wir beide leben konnten und mit der wir zufrieden auf das Jahr 2006 blickten. Parallel war mir ein Moderatorenvertrag mit dem Pay-TV-Sender Premiere angeboten worden, um während der Weltmeisterschaft in Deutschland meine Expertise abzugeben. Auch das hätte hingehauen, denn während einer WM ist natürlich auch in Brasilien Spielpause. Wir hätten also erst mal nur zehn Monate überbrücken müssen. Fünf Monate vor, fünf nach der WM. Ja, es blieb dabei, wir wollten es wagen.
    Ende Januar flog ich mit vier schweren Koffern über Sao Paulo nach Curitiba, um meinen Dienst anzutreten. Der Hintergedanke des Vereins war natürlich, den Brasilianern durch einen deutschen Trainer schon früh europäische Fußballweisheiten mitzugeben, um die Spieler dann irgendwann leichter nach Europa zu verkaufen. Es ging darum, die brasilianische Genialität mit der deutschen Professionalität zu kombinieren. Ich stürzte mich in die Arbeit. Wir flogen kreuz und quer durch dieses riesige Land. Von acht Spielen gewannen wir sechs, zweimal spielten wir Unentschieden. Die jungen Spieler entwickelten sich, sie zogen mit. Es wurde besser und besser.
    In den ersten drei Wochen hatte ich zur Unterstützung meinen Agenten Ertan dabei und einen brasilianischen Kollegen von der Agentur Stellar. Aber irgendwann waren sie weg, ich war alleine und meine Frau immer noch nicht da. Wir telefonierten viel, und immer wieder hieß es, sie könne gerade unmöglich nach Brasilien reisen, mal wegen der Kinder, mal wegen des Geschäfts, mal wegen ihrer Eltern. Ihr erster Besuch wurde immer wieder aufgeschoben. Meine Seele fühlte sich trotz des sportlichen Erfolgs nicht wohl. Obwohl das Land nur so sprudelte vor Leben, wähnte ich mich auch wegen der sprachlichen Barrieren wie auf einer einsamen Insel.
    Zusätzlich irritierte mich – und das will ich nicht verheimlichen – eine Journalistin, eine bildhübsche brasilianische Sportjournalistin von GloboTV aus einer so reichen wie einflussreichen Familie aus Curitiba. Sie hieß Delisiee, sie konnte Englisch, sie half mir, mich zurechtzufinden in dem neuen Umfeld. Delisiee sorgte für sozialen Anschluss und war einer meiner wenigen Bezugspunkte. Wir gingen häufiger gemeinsam aus. Es wurde schon getuschelt in der Stadt, und man hätte sich wohl auch verlieben können. Ja, es hat geknistert.
    Delisiee lud mich ein zur Hochzeit ihrer Schwester, wo ich plötzlich am Tisch des Brautpaares saß. Während der Feierlichkeiten versank ich für einen Moment in mir selbst, es wurde ganz still, wie in Trance ließ ich meinen Blick schweifen. Es fühlte sich an, als sei ich Teil einer liebenden und gebenden Bilderbuchfamilie geworden. Es fühlte sich an wie ein Ort, an dem ich Mensch sein konnte und nicht als »Loddar« nur schmückendes oder belächeltes Beiwerk war. Es war ein Ort, nach dem ich so viele Jahre gesucht hatte.
    Aber ich war doch verheiratet, ich hatte doch selber eine Familie. In was war ich da hineingeraten? Hätte ich derartige Einladungen dankend ablehnen sollen? Oder ist es nicht eher menschlich, dass man sich – wenn die Ehefrau lieber über 10000 Kilometer weit entfernt ihr Leben leben möchte – anders orientiert?
    Die Telefonate mit Marijana jedenfalls machten mir wenig Hoffnung, dass sie mich wie vereinbart würde besuchen kommen. Irgendwann bemühte sie sich dann her, weil etwas los war in Brasilien: der Karneval in Rio. Aber mir war schon vorher klar, dass dieser ursprüngliche Plan nicht mehr klappen würde. Also sagte ich Marijana, dass sie nach Rio gar nicht mehr mit nach Curitiba kommen bräuchte. Meine Ehefrau war so unentschieden, dass es nun an mir war, eine Entscheidung zu treffen. Für den Verein oder für meine Ehe. Für die Einsamkeit oder für die Familie. Für jemanden, der mir Ruhe vermittelte, oder für das unstete Leben meiner eigenen Patchwork-Existenz. Ich entschied mich für meine Ehe und gegen die brasilianische Variante. Weil ich immer für meine Ehen gekämpft habe. Nach zwei Scheidungen will man nicht unbedingt noch eine dritte. Heute weiß ich, dass ich mit dieser Entscheidung einen Fehler begangen habe.
    Der Karneval von Rio war eine imposante Erfahrung. Da können sich die Rheinländer in Köln, Düsseldorf oder

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