Ganz oder gar nicht (German Edition)
nach Kaiserslautern. Es galt, sich auf das Spiel gegen Deutschland vorzubereiten. Da stand ich nun mit nicht mehr als 19 Spielern. Einigen Kollegen war es wichtiger gewesen, in den Urlaub zu fahren, also musste ich mit bisherigen Ersatzspielern planen. Aufgrund der dünnen Personaldecke griff ich zu einer Strategie, die alles andere als alltäglich ist. Es ging mir um Dennis Rosa, der in China sein erstes Spiel gemacht hat und dabei sehr beeindruckte.
Ich wusste, dass sich Rosa am Frankfurter Flughafen von uns verabschieden würde, weil er am Samstagabend seine Freundin heiratete. Ich gab ihm die Hand und sagte: »Ich habe ein besonderes Hochzeitsgeschenk für dich und deine Frau! Am Sonntagmorgen fliegt ihr beide nach Frankfurt. Ihr werdet abgeholt und ins Hotel gebracht. Ich will dich nicht sehen bis zur Mannschaftsbesprechung, um deine Frau kümmert man sich. Und dann präsentiere ich dir mein Geschenk: nämlich ein Fußballspiel vor 38000 Zuschauern in Kaiserslautern – und anschließend drei Tage im Kempinski Hotel in Frankfurt, umsonst.« Er dachte, er höre nicht recht, und ich legte nach: »Weißt du was, du feierst und lässt einfach ein Glas Wein weg. Aber ich will dich am Sonntag sehen.« Rosa kam.
Das Spiel selbst hatte natürlich große Bedeutung. Nicht bloß für mich als 150-maligem Nationalspieler, der auf seinen Freund und Trainerkollegen Rudi Völler treffen würde. Es handelte sich um ein Jubiläumsspiel, das Jubiläumsspiel: fünfzig Jahre Wunder von Bern. Wir erinnern uns: Die Niederlage im WM-Endspiel 1954 gegen Deutschland schockte ganz Ungarn. Ungarn war damals einfach die Übermannschaft, die Ungarn haben heute noch dran zu knabbern. Nun also die Revanche unter völlig anderen Vorzeichen. Die Übermannschaft war nun Deutschland, und die Ungarn kamen mit einer halben und sehr jungen B-Mannschaft direkt von einer Reisetortur aus China. Die Spieler, die ich auf den Platz schickte, hatten zusammen weniger Länderspiele als Michael Ballack alleine.
Was sollte ich anderes tun, als meinen Spielern ans Herz zu legen, das Spiel gegen den amtierenden Vize-Weltmeister einfach zu genießen. »Habt Spaß, glaubt an euch, präsentiert euch, spielt miteinander!« Das waren meine Worte. Meine Strategie? Unter den Umständen konnte ich nicht offensiv spielen, das ging nicht. Meine Spieler waren müde, nicht nur wegen China, auch weil sie am Ende einer anstrengenden Saison standen. Es galt also, sich zurückzuziehen, hinten eng zu stehen, Michael Ballack in Manndeckung zu nehmen und nach Balleroberung schnell nach vorne umzuschalten. Wir nahmen uns vor, über die langsamen Innenverteidiger der Deutschen ins Spiel zu kommen. Und so lief es dann auch. Meine Mannschaft kämpfte, Sandor Torghelle erzielte zwei Tore, und zwar genau so, wie es besprochen war. Die Jungs feierten den 2:0-Sieg wie den Gewinn einer Weltmeisterschaft.
SO TÜRKTEN DIE TÜRKEN
Eigentlich hatte dieses Länderspiel – nach sechs Monaten in Budapest – mein letztes für Ungarn sein sollen. Denn es hatte Geheimverhandlungen mit Besiktas Istanbul gegeben. Der Verein hatte mein Management kontaktiert und mir ein Riesenangebot gemacht. Wir trafen uns vor der China-Reise in Mailand und nach der Reise noch einmal während unseres Trainingslagers in Frankfurt, wo wir bereits das türkische Trainingslager (Salzburg und Allgäu) sowie erste Transfers diskutierten. Dreißig Kassetten hatte man mir zugesteckt, damit ich mit Besiktas und seinen Spielern vertraut werde. Das Wichtigste: Es lag mir ein Vertrag vor, der bereits von allen Seiten unterschrieben worden war. Vom zukünftigen Präsidenten, vom Sportdirektor, vom Agenten und von mir. Yildirim Demirören, der Präsident in spe, hatte in der Türkei bereits mit meinem Namen Werbung für seine Wahl gemacht. Aber vor dem bedeutungsvollen Spiel wollte ich das Ganze noch nicht bekannt geben.
Als ich mit der Mannschaft im Bus saß, um zurück zum Hotel zu fahren, klingelte mein Handy. Mein türkischer Freund Ertan aus Nürnberg war dran, damals wichtiger Teil meines Managements. »Du hast doch den Vertrag unterschrieben, was ist los?«, fragte er. »Warum hast du im Zuge des Deutschlandspiels nichts verkündet?« Ich sagte: »Weil der Moment unpassend war. Ich wollte den Ungarn die Freude nicht verderben. Warum fragst du?« »Weil in der Türkei die Nachricht die Runde macht, dass der ehemalige Real-Madrid-Coach Vicente Del Bosque neuer Trainer bei Besiktas ist.« »Ertan, das kann nicht
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