Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
wird.
Natürlich ist nicht in jedem Fall Red Bull schuld, wenn die Kinder zu dick geworden sind und die weiteren Folgen in ihrem Körper sich schon bemerkbar machen. Natürlich spielt auch Cola eine Rolle, Fanta, Milchschnitte, Gummibärchen. Auch in Österreich. Und die Lebensumstände können eine Rolle spielen, Armut, Unglück, Scheidung, wenn sich die Kinder Kummerspeck anfressen.
Manchmal wundert sich sogar Dr. Weghuber über seine kleinen, aber schwergewichtigen Patienten. Zum Beispiel über den Buben, der im Alter von elf Jahren kam – mit 185 Kilo. Der Junge war intelligent, »ein perfekter Schachspieler«, sagt Weghuber, und natürlich ein Extremfall: »Das Gros der Kinder ist nicht in dem Maße übergewichtig. Aber es gibt diese Extreme. Wir haben auch Drei-, Vierjährige mit starkem Übergewicht. Das schwerste Kleinkind, das ich je gesehen habe, hat 37 Kilogramm gehabt mit zwei Jahren und sieben Monaten.«
Dr. Weghuber hat heute Wochenenddienst in der Kinderambulanz, einem markanten gläsernen Vorbau auf dem weitläufigen Klinikgelände in Salzburg. Im Warteraum neben der Anmeldung stehen gelbe Bänke, Holztische mit Resopal und Stühle, rot bezogen. Ein hellblauer Linoleumboden, auch die Wände sind hellblau, bemalt mit Seepferdchen, Fischen, Schlingpflanzen.
Zwischendurch klingelt immer wieder sein Mobiltelefon. Irgendwo schreit ein Kind. Die üblichen Therapien seien nicht sehr erfolgreich, klagt Weghuber: »Die Erfolgsraten einer guten, bemühten, kompetenten Therapie, die die Familie mit einschließt, sind bescheiden, flächendeckend gesehen. Wenn wir die 100 Zentren im deutschsprachigen Raum anschauen, die Therapien anbieten, so sieht man relativ schnell: Der Großteil der Zentren ist eigentlich erfolglos.«
»Und wer ist daran schuld?«
Weghuber: »Die Schuldfrage ist eine wichtige Frage. Weil wir sehr häufig beobachten, dass die Betroffenen wirklich von Schuldgefühlen geplagt sind.«
»Weil jeder denkt, die sollten nur ihr Leben umstellen?«
Weghuber: »Sein Leben umzustellen ist unglaublich schwierig.«
»Warum das denn?«
Weghuber: »Häufig wird den Betroffenen vermittelt, sie mögen eine Diät halten. Sie mögen etwas weglassen. Sie mögen auf etwas verzichten. Was bedeutet das für unser Hirn? Unser Hirn kann nicht aktiv an etwas NICHT denken, nach dem Motto: ›Denken Sie jetzt nicht an einen blauen Elefanten!‹
»Vor allem dann nicht, wenn überall ständig Werbung gemacht wird für einen blauen Elefanten.«
Weghuber: »Unser Umfeld ist schlicht und ergreifend so, dass es die Leute nicht schaffen. Weil wir es als Gesellschaft nicht schaffen, Rahmenbedingungen zu bieten, die einen grundlegend gesundheitsförderlichen, präventiven Charakter haben.«
So suchen die Ärzte nach Auswegen aus der Misere – natürlich mit ihren Mitteln und den Mitteln der pharmazeutischen Industrie. Deshalb hat sich das Landeskrankenhaus Salzburg an diesem großen Forschungsprojekt beteiligt, zusammen mit Ärzten aus verschiedenen Ländern Europas.
Es geht um das Organ, das die Hauptlast trägt, wenn die Zuckerflut steigt: die Bauchspeicheldrüse. Sie produziert das Hormon Insulin, das den Zuckerspiegel im Blut wieder senkt, indem es den Zucker in die Körperzellen befördert. Wenn viel Zucker kommt, produziert sie viel Insulin, und das kann dazu führen, dass das ganze System im Körper irgendwann überfordert ist und zusammenbricht. Früher, bevor es den industriell erzeugten Zucker gab, war die Bauchspeicheldrüse wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben so beansprucht wie heute an einem einzigen Tag, sagen Kritiker des Zuckerkonsums.
Für die Bauchspeicheldrüse wäre es daher besser, wenn wieder weniger Zucker käme und sie damit nicht so gefordert wäre. Nicht aber für die Pharmafirma, die auch mit an Bord ist bei dem Forschungsprojekt der Salzburger und ihrer europäischen Kollegen. Denn in dem Projekt geht es darum, neue Medikamente zu suchen, die die Bauchspeicheldrüse ein bisschen bremsen können. Da ist die Pharmafirma also sogar auf den Zucker angewiesen, rein geschäftlich betrachtet. Ohne Zucker gäbe es gar keinen Grund, die Aktivitäten der Bauchspeicheldrüse medikamentös zu mäßigen.
Die Pharmafirma ist ein Teil der »Gesundheitswirtschaft«, wie jene ökonomische Sphäre neuerdings genannt wird, die früher »Gesundheitswesen« hieß. Damit haben sich auch die Schwerpunkte ein bisschen verschoben, sagt der Medizinhistoriker Professor Paul Unschuld von der Charité in
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