Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Berlin. Natürlich sei die »Heilung von Kranksein« auch heute noch »das Ziel des täglichen Medizinbetriebs«. Aber er entwickle sich, auch wenn es »zynisch klingen« mag, in zunehmendem Maße zu einem »Marktgeschehen, das Arbeitsplätze sichert und erheblich zum Bruttosozialprodukt beiträgt«. Damit habe sich auch der Status des Kranken geändert. Früher ging es darum, den Kranken möglichst bald aus dem Krankenstand zu entlassen, damit er wieder arbeiten kann. Jetzt hat der Kranke einen ganz anderen Stellenwert. Er wird gebraucht, und zwar als Kranker, »erstmals in der Geschichte«. Jetzt gilt: »Der Kranke ist ebenso wertvoll wie der Gesunde.« Der Kranke hat plötzlich eine ganz wichtige Funktion fürs Bruttosozialprodukt.
Zur Gesundheitswirtschaft gehören die Ärzte, die Krankenhäuser, auch die Pharmafirmen, die Apotheken, die Forscher an den Universitäten und die Krankenkassen, die das Geld einschleusen.
Vor allem der Zuckerkranke hat eine ganz herausragende Rolle, er befindet sich ja im Zentrum einer Wachstumsbranche, und wenn er einfach nur gesund werden würde, wären die Wachstumsaussichten gefährdet. Er kann sich also nicht einfach so davonschleichen, zum Beispiel indem er aufhört, sich Süßes einzuverleiben. Der Zucker ist ein wichtiges Standbein der Gesundheitswirtschaft. Bei der Zuckerkrankheit geht es um viel Geld, allein in Deutschland sind es rund 48 Milliarden Euro, in den USA 174 Milliarden Dollar (134 Milliarden Euro), weltweit 500 Milliarden Dollar, also 385 Millionen Euro – pro Jahr. Tendenz: steigend.
Die Zuckerkrankheit ist eine der Menschheitsgeißeln, und die Gesundheitswirtschaft hat sich der Herausforderung gern angenommen. Alle paar Monate finden Kongresse und Symposien statt, auf denen die neuesten Erkenntnisse ausgetauscht und natürlich die neuesten Produkte für die Zuckerkranken vorgestellt werden; in Wien, auch in Salzburg, in Zürich, Basel, Genf, Berlin, in Heidelberg, in Leipzig.
Oder, wie hier, in Stuttgart, im Messezentrum direkt am Flughafen, ein paar Schritt nur von den Flugsteigen, über den weiten Vorplatz, durch die riesige Eingangshalle, innen ist alles sehr hell und modern, aus Glas, Stahl, Stein, viele Vortragsräume, die nach den herausragenden Persönlichkeiten in der Geschichte der Diabetesforschung benannt wurden. In einer Messehalle nebenan zeigen die Firmen ihre neuesten Waren, angestrahlt von Scheinwerfern, präsentiert von adrettem Personal in Kostüm und Anzug.
»Sanofi Diabetes – zusammen erreichen wir mehr«, so wirbt der Konzern aus Frankreich: ein »kompetenter Partner mit 90 Jahren Erfahrung in der Diabetesversorgung«. Am Stand gibt es die Insulinspritzen, die ClikStar oder TactiPen heißen. Und sogar ein Quizspiel! »Erfahren Sie alles zu unserem umfassenden Angebot für die Diabetestherapie. Mit etwas Glück gewinnen Sie einen Sanofi Aventis Stifte-Köcher oder ein Sanofi Diabetesnotizbuch.«
Beim Konkurrenzkonzern Novo Nordisk aus Dänemark heißen die Spritzen Flex Pen ® (»Schnell. Effektiv. Flexibel«). Das Insulin heißt: Novorapid. »Novorapid ist das meistverordnete kurz wirksame Insulin weltweit«, wirbt der Konzern stolz. »Wir sind die Größten«, sagen sie am Stand von Novo Nordisk.
Gleich daneben steht der Wagen, an dem sie Eis verkaufen. Süßes gibt es überall auf dem Diabetikerkongress. An den Ständen, bei den Vorträgen, in den Pausen, immer gibt es süße Sachen, Softdrinks, Eis, Kuchen, Kekse. Auf einem Tablett steht dann zum Beispiel: »Mit freundlicher Empfehlung von Lilly«, das ist eine Pharmafirma, eine der ganz großen im Diabetes-Business. Ob Eis, ob Kuchen oder Milchschnitte – alles kein Problem, alles kann einfach weggespritzt werden, so das NovoRapid ® -Werbeblättchen: »Sollten Zwischenmahlzeiten gewünscht sein, können diese mit einer zusätzlichen Injektion abgedeckt werden.«
Das Süße ist sozusagen die Geschäftsgrundlage dieser Industrie. Es hängt ganz direkt zusammen. Und die Zusammenhänge sind eigentlich jedem klar:
»Bei Diabetes mellitus«, so erläutert ein Prospekt aus dem Hause Novartis, »können die Körperzellen den Zucker aus dem Blut« nicht mehr richtig aufnehmen. »Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel.« Für die Aufnahme des Zuckers aus dem Blut stelle der Körper das in der Bauchspeicheldrüse gebildete Hormon Insulin bereit. »Wie ein Pförtner«, so die Pharmafirma, sorge Insulin dafür, dass der Blutzucker in den Körperzellen ankommt und dort in Energie
Weitere Kostenlose Bücher