Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
als Zusatzstoffe eingestuft, und dazu braucht man eine Zulassung. Für die Pflanze im Übrigen auch, weil nicht nachweisbar ist, dass Stevia rebaudiana in nennenswertem Umfang von der paraguayischen Urbevölkerung genutzt wurde.«
»Und daher nicht gewiss ist, ob es auch nicht schadet.«
Kienle: »Bei so etwas Neuem, das süß schmeckt, was sehr attraktiv ist für den Verbraucher, muss ich schon genau hinschauen. So ein Produkt muss auch sicher sein, aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes. Sonst kommt es sehr schnell in Verruf.«
»Und jetzt wird es zum Zucker des 21. Jahrhunderts?«
Kienle: »Ich glaube, dass der Mensch gern weiterhin süß isst, und da braucht er natürlich eine Alternative.«
»Wegen wachsender Kritik an Zucker und künstlichen Süßstoffen.«
Kienle: »Da eignet sich die Stevia-Pflanze, schon weil sie noch andere günstige Eigenschaften hat: Die Süßstoffe aus der Stevia-Pflanze sind kalorienarm, zahnfreundlich und diabetikerverträglich.«
»Also ist es gesünder als Zucker.«
Kienle: »Auf jeden Fall ist es eine gute Alternative zu Zucker, und deswegen wird es sich auch durchsetzen.«
Die Weltkarriere hat gerade begonnen. Danone hat schon einen Joghurt und ein Molkegetränk auf den Markt gebracht: DanVia (»Voller Geschmack braucht keinen extra Zucker«), es gibt einen Bauer Erdbeerjoghurt mit Stevia, es gibt Fritz-Kola Stevia, von Haribo Stevi-Lakritz und Lipton Ice Tea mit Stevia und einen Mövenpick-Caffè Freddo Colombia im Plastikbecher.
Als Pionier war die Andechser Bio-Molkerei vorgeprescht. Stevia kam ja eher aus der alternativen Szene, im Reformhausmilieu war es zunächst aufgetaucht, noch in der Illegalität, wurde als Badezusatz verkauft – wobei offen ist, ob die Kunden es dann bestimmungswidrig ins Müsli streuten. Als Pulver und Granulat war es dann auch in Internetshops und Ökosupermärkten erhältlich. In Stevia, verkündete einer der frühen Pioniere, das im Internethandel sehr agile Kräuterhaus Sanct Bernhard aus 73 342 Bad Ditzenbach, steckten »enorme Hoffnungen«.
Die Hoffnungen haben jetzt die Seite gewechselt. Und sie sind noch gewachsen. Es sind die großen Agrarkonzerne dieser Welt, die auf Stevia setzen, und die Nahrungskonzerne, allen voran der größte Softdrink-Konzern der Welt: Coca-Cola, der mit dem US-Agrokonzern Cargill die Karriere des neuen Süßstoffes vorangetrieben hat (Markenname: Truvia ® ). Und sogar die Zuckerkonzerne sind mit dabei: die Südzucker-Tochter Beneo etwa hat Stevia im Programm. Und auch Tate & Lyle, der vom Zuckergeschäft abgespaltene britische Zusatzstoffkonzern (Markenname: Tasteva ® ).
Um die 800 Millionen Dollar pro Jahr soll der Umsatz schon liegen und jedes Jahr weiter steigen. Stevia ist nicht mehr das, was es einmal war. Aus der grünen Urwaldpflanze ist ein weißer Süßstoff geworden. Größer als je zuvor sind die Erwartungen. Er soll der neue, bedeutende Süßmacher sein, in ganz großem Stil soll er zum Einsatz kommen, in den wichtigsten Süßprodukten der Welt. Stevia steht für die Hoffnung, das süße Leben ins neue Jahrtausend zu retten. Der Zucker ist in Verruf geraten als Dickmacher und Krankmacher. Und die künstlichen Süßstoffe erst recht. Denen haftet noch dazu der Ruch des Chemischen an. Stevia könnte da die Alternative sein.
Stevia ist für seine große Aufgabe zurechtgemacht worden. Aus dem grünen Kraut wurde ein weißes Pulver, in großen Fabriken, mit den Mitteln der Chemie. Der Geschmack, der ein bisschen gelitten hat bei der Verwandlung, bis zur metallenen Bitternis, wurde geglättet nach allen Regeln der Kunst. Jetzt ist er schön süß. Das allein aber reicht heute nicht mehr. Es muss auch noch gesund sein und natürlich. Das vor allem. Die Menschen sind ja viel aufgeklärter als damals, als der Zucker begann, die Welt zu erobern, und kritischer auch.
Umso schwerer wird an der Aura gearbeitet, der Aura von Natürlichkeit, von Ursprünglichkeit, und natürlich Unschädlichkeit. Dafür ist ihnen kein Aufwand zu groß, den PR-Strategen und Werbeagenten der Konzerne, um jene Aura zu erzeugen, für Truvia ® zum Beispiel, so heißt der neue Süßstoff für die wichtigste Süßbrause der Welt, was ein pfiffiges Kunstwort ist aus dem englischen true, also wahr, und dem verkürzten Stevia: Das wahre Stevia soll es sein, das weiße Pulver von Cargill, dem größten Familienkonzern der Welt mit einem Jahresumsatz von 120 Milliarden Dollar, der den Süßstoff für Coca-Cola
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