Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Stoffes feststellt. Die Lebensmittelbehörde FDA muss sich innerhalb von 90 Tagen entscheiden, ob sie dem zustimmen will, und dann den sogenannten »No Objection Letter« (etwa: Keine-Einwände-Brief) verschicken. Am 18. Dezember 2008 hat die FDA den »No Objection Letter« für Steviolglykoside ausgestellt.
Kritikern gilt dies als GRAS-Prädikat zweiter Klasse, weil es auf diesem vereinfachten Verfahren beruht. Das verbrauchernahe amerikanische Zentrum für Wissenschaft im öffentlichen Interesse (Center for the Science in the Public Interest, CSPI) protestierte daher, weil die üblichen Verfahren für die Zulassung eines Lebensmittelzusatzstoffes im Falle des Stevia-Süßstoffes nicht eingehalten worden seien. Eine Überprüfung durch Toxikologen der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) im Auftrag des CSPI ergab wiederum – Krebsverdacht. Allerdings nur bei einem bestimmten Süßstoff aus der Stevia-Pflanze und auch nur im Reagenzglas und bei Tierversuchen.
Die Kinderärztin Natalie Digate Muth vom Mattel-Kinderhospital an der Universität von Kalifornien in Los Angeles rückt die Stevia-Süßstoffe schon in eine Reihe mit den künstlichen Süßstoffen. Obwohl Stevia »wahrscheinlich so sicher ist wie künstliche Süßstoffe (oder sogar mehr)« gebe es »nur wenige Langzeitstudien, die seine Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen dokumentieren«. So sei die Ungefährlichkeit keineswegs sicher, es sei sogar »möglich, dass Stevia in größeren Mengen schädliche Effekte haben kann«.
Selbst in Japan, wo Stevia schon seit den 1970er Jahren zugelassen ist, gab es zwar mehr als 40 000 klinische Studien, allerdings ebenfalls keine über die Auswirkungen von dauerhaftem Konsum des Stevia-Süßstoffs.
So beschränkte sich auch die Zulassung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nur auf relativ niedrige Höchstmengen. Die EFSA-Experten hatten zwar keine Hinweise auf gesundheitliche Schäden festgestellt. Die sogenannten Steviolglykoside, die süßen Wirkstoffe, seien weder krebserregend, noch wirkten sie sich negativ auf die Fortpflanzungsorgane oder das ungeborene Kind aus. Sie seien auch nicht genotoxisch – schädigten also nicht das menschliche Erbgut.
Auch allergische Reaktionen seien unwahrscheinlich, wenngleich es einen einzigen Bericht über einen allergischen (anaphylaktischen) Schock gegeben habe. In der langen »Geschichte des Gebrauchs als Lebensmittelzusatz« seien ansonsten keine derartigen Reaktionen auf Stevia dokumentiert worden. Die EFSA-Wissenschaftler wollten ihre Unbedenklichkeitserklärung allerdings nur für eine relativ geringe Tagesdosis abgeben. Für höhere Stevia-Dosen ist die Unschädlichkeit bisher nicht nachgewiesen worden. Die japanischen Wissenschaftler, auf die sich die EFSA-Experten stützten, hatten ein Krebsrisiko durch die süßen Substanzen, die auch kurz Stevioside genannt werden, nur bis zu einem Gehalt von fünf Prozent an der täglichen Nahrung ausgeschlossen. Bei der höchsten Steviosid-Dosis zeigte sich in Untersuchungen mit Versuchstieren ein »signifikanter Rückgang in der Überlebensrate«, was vielleicht als Warnsignal gelten könnte.
So äußerte die deutsche Stiftung Warentest auch »Bedenken wegen Überdosierung«. Aus Verbrauchersicht, so die Organisation, sei die Zulassung kritisch zu sehen. Es bestehe laut EU-Kommission die Gefahr einer Überdosierung insbesondere für Kinder und Erwachsene, die »viele gesüßte Softdrinks trinken«. Diese könnten »schnell die von der EFSA empfohlene Tagesdosis von 4 Milligramm Stevia pro Kilogramm Körpergewicht überschreiten«.
Wenn Teenager also, wie in den USA üblich, zehn Prozent ihrer täglichen Nahrungsmenge in Form von Softdrinks aufnehmen möchten, liegen sie schon oberhalb des Limits.
So könnte die gerade beginnende Karriere des neuen Süßstoffs ganz schnell wieder gebremst werden. Sogar ihr wichtigstes Imagemerkmal könnte die Süße, die aus dem Urwald kam, verlieren: die Natürlichkeit. Denn immer mehr Länder verbieten den Begriff »natürlich« für den chemisch hergestellten Süßstoff. Belgien hat etwa bestimmt, dass Begriffe wie »natürlich gesüßt« oder »natürlicher Süßgeschmack« für das Stevia-Pulver verboten sind. Auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat verfügt, dass Begriffe wie »mit natürlicher Süße« oder »mit natürlichen Zutaten gesüßt« in Verbindung mit dem Süßstoff E960 als »täuschend anzusehen«
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