Garantiert wechselhaft
wir die Goldene Krone betraten, schlug uns geballter Bratenduft entgegen, und ich sah, wie Marie das Gesicht verzog.
«Komm, da hinten in der Ecke ist noch Platz», sagte ich und nahm ihre Hand.
Und schon war es wieder so weit! Einige Gäste stellten das Kauen ein, stießen sich gegenseitig in die Rippen und deuteten mit dem Kopf in unsere Richtung. Es war klar, dass es diesmal an Maries Outfit lag, denn ein größerer Kontrast zur sonntäglich herausgeputzten Landbevölkerung war nur schwer vorstellbar. Mädchen wie meine Tochter kannte man hier höchstens aus schrägen Vorabendserien im Fernsehen.
Unbeeindruckt schoben wir uns an den vollbesetzten Tischen vorbei und versuchten, den hektisch herumrennenden Bedienungen dabei nicht in die Quere zu kommen.
Dann hatten wir endlich unser Ziel erreicht. «Sind bei Ihnen noch zwei Plätze frei?»
Die Großfamilie, die vom Säugling bis zum Urgroßvater alles im Angebot hatte, rückte kommentarlos zusammen und setzte die Diskussion, ob Tante Geraldine sich das mit dem Haus nun leisten konnte oder nicht, im selben Atemzug fort.
Sekunden später erschien eine verschwitzte Bedienung, warf zwei wuchtige Speisekarten vor uns auf den Tisch und verschwand sofort wieder.
Das Ambiente versetzte mich in die Zeit zurück, als ich bei Onkel Hubert die Ferien verbracht hatte: die plastikbeschichteten Tischdecken, die Speisekartenmappe aus Kunstleder und die vielen verstaubten Sanseverien, auch Schwiegermutterzunge genannt, auf der Fensterbank.
«Vegetarisch ist das hier die volle Nullnummer», bemerkte Marie. «Nur auf der Abendkarte haben sie einen gebackenen Camembert mit Preiselbeeren.»
«Immerhin etwas.» Im Gegensatz zu meiner Tochter konnte ich der Fränkischen Hausmannskost durchaus etwas abgewinnen, und nach einigem Hin und Her entschied ich mich für Sauerbraten. Oder sollte ich doch lieber die Rouladen nehmen?
Mein Entscheidungskampf wurde von der gehetzt dreinblickenden Bedienung im Keim erstickt. «Wiss mer schon, was mer kriegn?»
«Zwei Apfelschorlen», bestellte ich. «Und haben Sie außer dem gebackenen Camembert irgendein vegetarisches Gericht?»
«Was?»
«Etwas ohne Fleisch», übersetzte ich geduldig.
«Mir hamm Gloß mit Soß. Des ist aber bloß für Kinder.»
«Sie ist ja meine Tochter», sagte ich spitzfindig. «Und was ist das für eine Soße?»
«Vom Schweinebradn halt.»
Marie rollte mit den Augen. «Ich esse aber kein Fleisch!»
«Dann nehmen’s halt an Fisch!»
«Ich esse nichts, was Augen hat.»
«Dann nehmen wir den Camembert mit Preiselbeeren und die Rouladen», sagte ich bestimmt.
«Des ist aber von der Abendkardde. Ich waaß ned, ob der Koch des macht.» Mit großen Schritten eilte sie Richtung Küche.
Unsere Diskussion mit der Bedienung hatte anscheinend die Probleme um Tante Geraldine getoppt, denn die acht Augenpaare unserer Tischgenossen waren nun doch unverwandt auf uns gerichtet.
«Du schaust fei komisch aus!» Ein etwa fünfjähriges Mädchen im rosa Sonntagskleidchen sprach das aus, was die restliche Familie nur dachte. Sie strahlte Marie fasziniert an.
«Du auch», sagte Marie und schnitt eine Grimasse. Das Kind lachte und verschwand unter dem Tisch. Im nächsten Moment tauchte es neben Marie wieder auf und setzte sich zu ihr auf die Bank. «Warum isst’n du ka Fleisch?»
«Weil ich nicht möchte, dass wegen mir Tiere umgebracht werden», erklärte meine Tochter.
«Sin Schnitzel auch Diere?»
«Ein Schnitzel war mal ein Schwein. Und Rouladen eine Kuh.»
Die Kleine dachte gerade über diese Neuigkeiten nach, als ein Kellner mit einem Riesentablett am Tisch auftauchte und Teller verteilte.
«Komm, Nicole, dei Kinderschnitzel mit Bommes!», gurrte die Mutter. «Schau, wie legger des ausschaut.»
Nicole überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. «Ess ich ned!» Sie blieb mit bockigem Gesichtsausdruck neben Marie auf der Bank sitzen. «Des ist a dodes Schwein, und Schweine sinn süß!»
«So a Schmarrn!», rief der Vater. «Du kommst etzt sofort her, isst dei Schnitzel und gibst a Ruh!»
«Ned so laut, Georch», versuchte Mutti ihren Mann zu bremsen. «Des muss ja ned jeder mitgrieg’n!»
«Geh lieber zu deinen Eltern», sagte Marie leise. «Du kannst ja die Pommes und den Salat essen. Das sind keine Tiere.» Nicole sah sie dankbar an und verschwand wieder unter den Tisch.
«Und du, gell?!», rief Vater Georch. «Du hörst sofort auf, mei Kind aufzuhetzen. Des braucht sei Fleisch!» Mir warf er einen
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