Garp und wie er die Welt sah
war. Seine
Mutter hatte erwähnt, dass Cushie Percy bei der Geburt eines Kindes gestorben
war. Garp hatte nichts davon gehört, und obwohl er hin und wieder mit Helen
über seine alte Leidenschaft für Cushie witzelte – und Helen ihn damit aufzog –, machte die Nachricht von Cushies Tod ihn völlig
fertig. Cushman Percy war so aktiv gewesen, so voll unbändiger Lebenslust – es
schien unmöglich. Die Nachricht, dass Alice Fletcher etwas zugestoßen sei,
hätte ihn weniger durcheinandergebracht; er war eher darauf vorbereitet, dass
ihr etwas zustieß. So traurig es war, so wusste er doch, dass Quiet Alice mit Sicherheit etwas zustoßen würde. Garp ging in die
Küche, und ohne sich klarzumachen, wie spät es war, oder sich daran zu
erinnern, wann er sich das letzte Bier geholt hatte, merkte er [418] plötzlich,
dass er die Nummer der Percys gewählt hatte; das Rufzeichen ertönte. Erst da
begann Garp, sich vorzustellen, welch langen Weg aus dem Schlaf Fat Stew
zurücklegen musste, ehe er sich melden konnte.
»Mein Gott, wen rufst du denn da
an?«, fragte Helen, die gerade in die Küche kam. »Es ist Viertel vor zwei!«
Bevor Garp auflegen konnte, nahm
Stewart Percy ab.
»Ja?«, fragte Fat Stew
beunruhigt, und Garp konnte sich die zarte, hirnlose Midge vorstellen, die sich
nervös wie eine bedrängte Henne im Bett neben ihm aufsetzte.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie
geweckt habe«, sagte Garp. »Ich war mir nicht bewusst, dass es schon so spät
ist.« Helen verließ kopfschüttelnd die Küche. Jenny erschien in der Küchentür
und sah ihn mit jenem kritischen Ausdruck an, mit dem nur eine Mutter ihren
Sohn ansehen kann und in dem mehr Enttäuschung liegt als Zorn.
»Wer zum Teufel ist da?«, fragte
Stewart Percy.
»Hier spricht Garp, Sir«, sagte
Garp und fühlte sich sofort wieder wie ein kleiner Junge, der sich für seine
Gene entschuldigt.
»Himmel Herrgott«, sagte Fat
Stew. »Waswollen Sie denn?«
Jenny hatte es versäumt, Garp zu
erzählen, dass Cushie Percy vor Monaten gestorben war;
Garp dachte, er spreche sein Beileid zu einem kürzlich geschehenen Unglück aus.
Deshalb sprach er stockend.
»Es tut mir leid, sehr leid«,
sagte Garp.
»Das sagten Sie doch bereits«, sagte Stewart.
»Ich habe es eben erst gehört«,
sagte Garp, »und ich wollte Ihnen und Ihrer Gattin gern sagen, wie aufrichtig [419] leid
es mir tut. Vielleicht habe ich es Ihnen gegenüber
nie erkennen lassen, Sir, aber ich empfand eine ehrliche Zuneigung für…«
»Sie kleines Dreckschwein!«,
sagte Stewart Percy. »Sie geiler Mutterschänder, Sie Scheißkerl von einem
Japs.« Und damit legte er auf.
Selbst Garp war auf so viel Hass
nicht vorbereitet. Aber er missverstand die Situation. Es sollte Jahre dauern,
bis ihm die Umstände seines Anrufs klar wurden. Die arme Pu Percy, die
verhuschte Bainbridge, würde es Jenny eines Tages erklären. Als Garp anrief,
war Cushie schon lange tot, und Stewart begriff gar nicht, dass Garp ihm zu Cushies Tod kondolierte. Denn als Garp anrief, war die Nacht
jenes dunklen Tages angebrochen, an dem die Bestie Bonkers endlich ihr Leben
ausgehaucht hatte. Stewart Percy dachte, Garps Anruf sei ein grausamer Scherz –
geheucheltes Beileid für den Hund, den Garp immer gehasst hatte.
Und als jetzt das Telefon klingelte,
merkte Garp, wie Helen sich im Halbschlaf instinktiv an ihn klammerte, und als
er abnahm, klemmte sie sein Bein zwischen ihre Knie – als klammere sie sich
damit an das Leben und an die Sicherheit, die sein Körper für sie bedeutete.
Garp ging im Geiste sämtliche Möglichkeiten durch, wer der Anrufer sein könnte.
Walt konnte es nicht sein, der war zu Hause und schlief. Duncan ebenfalls; er
war nicht bei Ralph.
Helen dachte: Es ist mein Vater;
es ist sein Herz. Bei manchen Gelegenheiten hatte sie auch schon gedacht: Jetzt
haben sie endlich meine Mutter gefunden und identifiziert und in einem
Leichenschauhaus aufgebahrt.
Und Garp dachte: Mom ist
umgebracht worden. Oder [420] sie wurde entführt, und jetzt wollen ihre Entführer
ein Lösegeld erpressen – Männer, die nichts weniger als die öffentliche
Vergewaltigung von vierzig Jungfrauen fordern, ehe sie die berühmte Feministin
unversehrt freilassen. Und sie werden auch das Leben meiner Kinder fordern. Und
noch mehr und noch mehr.
Roberta Muldoon war am Telefon, was
Garp vollends davon überzeugte, dass Jenny Fields das Opfer sei. Aber das Opfer
war Roberta.
»Er hat mich verlassen«, sagte
Roberta, und ihre
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