Garp und wie er die Welt sah
Ausweis holte.
»Sie haben uns nicht verhaftet «, sagte Garp. »Sie haben uns nach Hause gebracht, Duncan. Alles in Ordnung «, zischte er Helen zu. Wütend lief er nach oben, um seine
Brieftasche zwischen seinen Sachen zu suchen.
»Bist du etwa so nach draußen
gegangen?«, rief Helen hinter ihm her. »In diesem Aufzug?«
»Die Polizei hat gedacht, er
entführt mich«, sagte Duncan.
»Sind die Polizisten ins Haus
gekommen?«, fragte Helen ihn.
»Nein, Dad hat mich nach Hause
gebracht«, sagte Duncan. »Mann, Dad ist ja vielleicht komisch.«
Garp stolperte die Treppe
hinunter und lief zur Tür hinaus. »Eine Verwechslung«, zischte er Helen wieder
zu. »Sie müssen jemand anders gesucht haben. Reg dich um Himmels willen nicht
auf.«
»Ich rege mich gar nicht auf«,
sagte Helen in scharfem Ton.
Garp zeigte der Polizei seinen
Ausweis.
»Gut, in Ordnung«, sagte der
ältere Polizist. »Es ist wirklich nur T.S., nicht
wahr? Ich nehme an, so ist es einfacher für Sie.«
»Manchmal auch nicht«, sagte
Garp.
[415] Als der Streifenwagen wegfuhr,
rief der junge Mann Garp aus dem Seitenfenster zu: »Sie sind nicht übel, Mann,
wenn Sie nur lernen würden, richtig zu relaxen !«
Helen, wie sie da schmal,
angespannt und zitternd in ihrem blauen Morgenkleid im Türrahmen stand, half
ihm nicht gerade dabei zu relaxen. Duncan war hellwach und plapperte in einem
fort; außerdem hatte er Hunger. Garp auch. Im Dämmerlicht der Küche sah Helen
ihnen unbeteiligt beim Essen zu. Duncan erzählte ihnen die Handlung seines
langen Fernsehfilms; Garp hatte den Verdacht, dass es in Wirklichkeit zwei
Filme gewesen waren und dass Duncan beim ersten eingeschlafen und, nachdem der
andere schon begonnen hatte, wieder aufgewacht war. Er versuchte, sich vorzustellen,
wo und wann Mrs. Ralphs Aktivitäten in Duncans Film zu integrieren waren.
Helen stellte keine Fragen.
Einerseits weil sie sie, wie Garp vermutete, vor Duncan nicht stellen wollte.
Aber andererseits überlegte sie wie Garp immer sehr genau, bevor sie etwas
sagte. Sie waren beide dankbar für Duncans Anwesenheit; das lange Warten, bis
sie frei und ungehindert miteinander sprechen konnten, würde sie vielleicht
freundlicher und vorsichtiger machen.
Als es hell wurde, konnten sie
nicht länger warten, und sie fingen an, auf dem Umweg über Duncan miteinander
zu sprechen.
»Erzähl Mommy, wie die Küche
ausgesehen hat«, sagte Garp. »Und erzähl ihr von dem Hund.«
»Bill?«
»Genau!«, sagte Garp. »Erzähl ihr
etwas von dem alten Bill.«
[416] »Was hatte Ralphs Mutter denn
an, als du dort warst?«, fragte Helen Duncan. Sie lächelte Garp zu. »Ich hoffe,
sie hatte mehr Kleider an als Daddy.«
»Was habt ihr zum Abendbrot
gegessen?«, fragte Garp Duncan.
»Sind die Schlafzimmer oben oder
unten?«, fragte Helen. »Oder oben und unten?« Garp
versuchte, ihr mit einem Blick zu signalisieren: Fang nicht wieder damit an. Er
fühlte förmlich, wie sie die alten, abgenutzten Waffen in Reichweite legte:
eine oder zwei Babysitterinnen, an die sie sich (in Zusammenhang mit ihm) gut
erinnern konnte, und er konnte förmlich mitverfolgen, wie sie die
Babysitterinnen in Stellung brachte. Falls sie einen der alten, verletzenden
Namen aufs Tapet brachte, hatte Garp keine Namen für den Vergeltungsschlag
parat. Helen hatte keine Babysitter, die gegen sie sprachen; noch nicht.
Harrison Fletcher zählte für Garp nicht.
»Wie viele Telefone gibt es denn
in dem Haus?«, fragte Helen Duncan. »Ist in der Küche und im Schlafzimmer ein
Telefon? Oder gibt es nur ein einziges Telefon – im Schlafzimmer?«
Als Duncan schließlich in sein
Zimmer ging, blieb Helen und Garp nur noch eine knappe halbe Stunde, bis Walt
wach werden würde. Aber Helen hatte die Namen ihrer Feindinnen parat. Man hat
reichlich Zeit, Schaden anzurichten, wenn man weiß, wo die Kriegsverletzungen
sind.
»Ich liebe dich so sehr, und ich
kenne dich so gut«, begann Helen.
[417] 12
Es passiert Helen
Nächtliche Anrufe – die
als Alarmsignale in den Herzen schrillen – sollten Garp sein Leben lang in
Schrecken versetzen. Wer von meinen Lieben ist es?, würde Garps Herz beim
ersten Klingeln schreien – wer ist unter einen Lastwagen geraten, wer ist im
Bier ertränkt worden oder liegt nach einem Elefantentritt irgendwo im Dunkeln?
Garp fürchtete sich vor solchen
nachmitternächtlichen Anrufen, aber einmal machte er – unabsichtlich – selbst
einen. Es war an einem Abend, an dem Jenny bei ihnen zu Besuch
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